Feuer (German Edition)
diese Worte sprach. Meine Augen suchten den Lichtglanz oben an der Mauer: er war ausgelöscht. Das Publikum wurde unruhig in der Arena, es verlangte nach dem Tod der Helden! Man wollte weder der Mutter, noch der Amme, noch dem Bruder Lorenzo weiter zuhören. Die lauten Zeichen seiner Ungeduld beschleunigten das Klopfen meines Herzens in unerträglicher Weise. Das Ende der Tragödie wurde überstürzt. Ich habe die Erinnerung an einen großen Himmel, der weiß wie Perlen schimmerte, und an jenes an Meeresbrausen gemahnende Geräusch, das sich bei meinem Erscheinen legte, und an den Harzgeruch, den die Wachsfackel ausströmte, und an die Rosen, die mich bedeckten und die mein Fieber hatte welken lassen, und an fernes Glockenläuten, das den Himmel näher brachte, und an diesen Himmel, dessen Licht allmählich erlosch, wie mein Leben, und an einen Stern, den ersten Stern, der in meinen Augen zitterte mit meiner Träne ... Als ich auf Romeos Leiche niedersank, brach die Menge in der Dunkelheit in so gewaltiges Beifallsbrüllen aus, daß ich erschrack. Irgend jemand hob mich auf und zerrte mich nach der Seite, von der das Rufen ertönte. Man beleuchtete mit der Fackel mein beträntes Gesicht: sie knisterte laut und roch nach Harz, und sie war rot und schwarz, Rauch und Flamme. Wie den Stern werde ich auch diese niemals vergessen. Und ich mußte aussehen wie der Tod ... So, Stelio, wurde an einem Maiabend dem Volke von Verona eine von den Toten erstandene Julia gezeigt.«
Wieder blieb sie stehen und schloß die Lider, wie jemand, den Schwindel befällt; aber ihre schmerzenden Lippen lächelten wieder ihrem Freunde zu.
»Und dann? Das Bedürfnis zu geben, zu gehen, wohin es auch sei, den Raum zu durchmessen, im Winde zu atmen ... Meine Mutter folgte mir schweigend. Wir überschritten eine Brücke, wir gingen längs der Etsch; dann ging's über eine zweite Brücke, wir kamen in eine kleine Straße, wir verloren uns in den dunklen Gassen, gelangten auf einen Platz mit einer Kirche, und weiter, weiter, immer vorwärts. Meine Mutter fragte mich von Zeit zu Zeit: ›Wohin gehen wir?‹ Ich wollte auf gut Glück das Kapuzinerkloster finden, wo Julias Grab verborgen war, da ich zu meinem Schmerz erfahren hatte, daß man sie nicht in einem jener schönen Gewölbe beigesetzt, die von den schönen Gittern umschlossen waren. Aber ich wollte es nicht sagen, und ich konnte es nicht sagen. Den Mund zu öffnen, ein Wort zu sprechen, war mir ebenso unmöglich, wie einen Stern vom Himmel zu lösen. Meine Stimme hatte sich mit der letzten Silbe der Sterbenden verloren. Meine Lippen versiegelte ein Schweigen, notwendig wie der Tod. Und mein ganzer Körper schien mir nur zur Hälfte lebend, bald zu Eis erstarrt, bald in Feuer erglühend, und bald, ich weiß nicht, als brannten nur die Gelenke der Knochen, und der Rest wäre Eis. ›Wohin gehen wir?‹ fragte mich zum andern Male die verkörperte Güte in banger Sorge. Ach, ich antwortete ihr innerlich mit Julias letztem Wort. Wir waren wieder am Wasser, am Anfang einer Brücke über der Etsch. Ich glaube, ich begann zu laufen, denn kurz darauf fühlte ich mich von den Armen meiner Mutter umfangen und blieb dort stehen, gegen das Geländer der Brücke gepreßt, von Schluchzen erstickt. ›Stürzen wir uns so umarmt hinunter!‹ wollte ich sagen; aber ich konnte nicht. Der Fluß trug die Nacht mit allen ihren Sternen davon. Und ich fühlte, daß nicht in mir allein der Wunsch, zu sterben, war ... Ach du Gesegnete!«
Sie wurde totenblaß. Ihre ganze Seele fühlte wieder die innige Umschlingung dieser Arme; die Küsse dieser Lippen, die Tränen dieser zärtlichen Liebe, die Tiefe dieses Kummers. Aber ihr Blick fiel auf den Freund, und plötzlich strömte das Blut in ihre Wangen, stieg auf in die Stirn, fast als triebe eine verborgene Scham ihr ins Gesicht.
»Was sage ich Ihnen da alles? Warum erzähle ich Ihnen all diese Dinge? Man spricht und spricht, ohne zu wissen, warum.«
Sie senkte die Augen über ihrer Verwirrung. Bei der Erinnerung an die geheimnisvolle Furcht, die den Anzeichen der Pubertät vorangegangen war, bei der Erinnerung der mütterlichen Liebe voller Herzeleid, erwachte in ihrem unfruchtbaren Schoße der Urtrieb ihres Geschlechts. Das Weibverlangen in ihr, das sich gegen den heroischen Vorsatz völliger Entsagung auflehnte, war seltsam erregt, war bereit, sich hinzugeben. Aus den innersten Wurzeln ihrer Wesenheit erhob sich ein gestaltloses Sehnen, an das sie nicht zu
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