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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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rühren wagte. Die Möglichkeit eines göttlichen Lohnes blitzte über der Trauer ihrer notwendigen Entsagung auf. Sie fühlte ihr Herz erzittern, aber es war wie jemand, der nicht wagt, den Blick zu einem unbekannten Angesicht zu erheben, in der Furcht, dort das Urteil, das über Leben oder Tod entscheidet, zu lesen. Sie fürchtete das, was keine Hoffnung war und dennoch einer Hoffnung glich, das, was ihr Geist und ihr Fleisch in einer so neuen Art erzeugt hatten, sich plötzlich auflösen zu sehen. Das helle Licht, das den Himmel bestrahlte, und die Gegend, durch die sie wandelte, und die Schritte, die sie zu machen gezwungen war, und selbst die Gegenwart des Freundes machten sie ungeduldig. Sie dachte an das träge Halbwachen, an den zögernden Halbschlaf gegen die Morgendämmerung, wenn der verschleierte Wille leicht den glücklichen Traum lenkt. Sie sehnte sich nach der Einsamkeit, der Ruhe, dem verschlossenen und abgelegenen Zimmer, dem Schatten der schweren Vorhänge. Plötzlich, in heißer Seelenqual, die dieser Ungeduld entsprang, wie um mit den Gedanken eine Erscheinung festzuhalten, die im Begriffe war, zu verschweben, fühlte sie diese Worte, die sich ihr auf die Lippen drängten, ohne daß sie sie aussprach: »Ein Kind von dir!«

    Sie wandte sich dem Freunde zu und blickte ihm, am ganzen Körper bebend, in die Augen. Der geheime Gedanke flackerte in ihrem Blick wie inbrünstiges Flehen und wie Verzweiflung. Sie schien in ihm angstvoll nach einem verborgenen Zeichen, nach einem unbekannten Anblick, gleichsam nach einem neuen Menschen zu suchen. Sie rief ihn mit unterwürfiger Stimme:
    »Stelio!«
    Und ihre Stimme klang so verändert, daß der junge Mann innerlich zusammenschrak und sich zu ihr neigte, als wollte er ihr beistehen.
    »Liebe, liebste Freundin!«
    Betroffen und ängstlich sah er diesen breiten Strom verlangenden Lebens sie durchfluten, den merkwürdigen Ausdruck, das Wechselspiel von Licht und Schatten auf ihren Zügen. Und er wagte nicht zu sprechen, wagte nicht die verborgene Qual, in der die Kräfte dieser großen bejammernswerten Seele sich bewegten, zu unterbrechen. Er fühlte wohl durch ihre Worte die Schönheit und dle Traurigkeit der unausgesprochenen Dinge, aber unklar. Und während er nicht zweifelte, daß irgendein schwererworbenes Gut aus solchem Fieber der Leidenschaft hervorgehen mußte, wußte er nicht, zu welchem Ende diese Liebe von der Notwendigkeit geführt werden würde, vollkommen zu werden oder unterzugehen. Sein Geist füllte sich mit staunender Erwartung bei dem intensiven Leben, das er an diesen vergessenen Orten fand, auf diesem armseligen Grase, auf dem stillen Weg. Niemals war in ihm das Bewußtsein der unberechenbaren Kraft, deren das Menschenherz fähig ist, so stark gewesen. Und da er das Pochen des eigenen Herzens hörte und das ungestüme Klopfen des anderen erriet, glaubte er die Schläge des Hammers auf dem harten Amboß erdröhnen zu hören, auf dem das Menschenschicksal geschmiedet wird.

    »Sprechen Sie weiter« – sagte er. – »Lassen Sie mich Ihnen noch nähertreten, teure Freundin. Seit ich Sie liebe, hat es keinen Augenblick gegeben, den ich dem Weg, den wir heute zusammen gemacht haben, an die Seite stellen könnte.«
    Sie schritt vorwärts gesenkten Hauptes, sich neuen Illusionen hingebend. ›Wäre es möglich?‹ Sie fühlte die Unfruchtbarkeit ihre Hüften umspannen, wie ein eiserner Gurt. Sie dachte der hartnäckigen, unerbittlichen Leiden, die eingewurzelt waren in ihrem der Sinnenlust preisgegebenen Leibe. Aber die Gewalt ihrer Leidenschaft und ihres Verlangens, verstärkt durch den Gedanken der Gerechtigkeit, schien ihr ein Wunder vollbringen zu wollen. Und was an Aberglaube in ihrer Natur war, begünstigte, die Klarheit ihres Geistes verschleiernd, die keimende Hoffnung. ›Habe ich wohl je geliebt vor dieser Stunde? Habe ich nicht alle diese Jahre auf die große Liebe gewartet, die mich retten oder vernichten muß? Von welchem unter allen denen, die meine Traurigkeit vermehrt haben, hätte ich mir einen Sohn gewünscht? Ist es nicht gerecht, daß neues Leben aus meinem Leben keime, jetzt, da ich mich meinem Herrn mit meinem ganzen Selbst hingegeben habe? Habe ich ihm nicht meinen jungfräulichen Traum, Julias Traum, unberührt dargebracht? Wurde nicht mein ganzes Dasein seit jenem Frühlingsabend bis zu einer Herbstnacht ausgelöscht?‹ In ihrer trügerischen Hoffnung sah sie das Weltall umgewandelt. Die Erinnerung an die Mutter gab

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