Feuer (German Edition)
und Flut, wie die Jahreszeiten, wie der Wechsel der Gestirne. Sie nahm sie hin, ohne sie zu prüfen.
Und ihr Mut war neubelebt, ihre Seele neugestärkt, ihre Tatkraft erwachte, ihre entschlossenen Eigenschaften als Leiterin kehrten ihr wieder. In kurzer Zeit hatte sie ihre Reiseroute bestimmt ihre Truppe versammelt, den Tag der Abreise festgesetzt. »Du wirst dort unter den Barbaren, jenseits des Ozeans, arbeiten« – sagte sie in hartem Tone zu sich selbst. – »Wieder wirst du umherziehen von Stadt zu Stadt, von Gasthaus zu Gasthaus, von Theater zu Theater; und jeden Abend wirst du die Menge zum Beifallsbrüllen bringen, die dich bezahlt. Du wirst viel Geld verdienen. Du wirst heimkehren, beladen mit Gold und Weisheit, wenn es dir nicht vielleicht beschieden ist, an einem nebeligen Tage auf einer Schienenkreuzung von den Rädern zermalmt zu werden ...«
»Wer weiß!« – fügte sie hinzu. – »Von wem kam dir der Befehl, fortzugehen? Von einem Wesen, das in dir ist, im allertiefsten Grunde deines Innern, und das sieht, was du nicht siehst, wie die Blinde in der Tragödie. Wer weiß, ob dort drüben auf einem jener großen, friedlichen Ströme deine Seele ihren Einklang nicht wiederfindet, und deins Lippen nicht wieder jenes Lächeln lernen, das sie so viele Male vergebens versuchten! Vielleicht wirst du zur gleichen Stunde in deinem Spiegel ein weißes Haar und jenes Lächeln entdecken. Geh hin in Frieden!«
Sie bereitete sich vor zum Büßerweg.
Von Zeit zu Zeit wehte es durch die Februarluft wie ein Hauch von Vorfrühling.
»Fühlst du den Frühling?« fragte Stelio die Freundin, und seine Nasenflügel weiteten sich.
Sie lehnte sich ein wenig zurück, das Herz von Sehnsucht geschwellt, das Gesicht dem Himmel zugewandt, der ganz mit leichtem Dunst wie mit flockigen Federn bedeckt war. Das heisere Heulen einer Sirene klang langgezogen über das bleiche Wasser der Lagune und wurde nach und nach sanft wie ein Flötenton. Der Frau kam es vor, als ob irgend etwas aus ihrem innersten Herzen sich loslöse und mit diesem Ton in die Ferne zerstiebe; wie ein Schmerz, der sich nach und nach in Erinnerung wandelt.
Sie erwiederte:
»Er ist an den Tre Porti angelangt.«
Sie fuhren wieder einmal planlos über die Lagunen, über das Wasser, das ihren Träumen so vertraut war, wie das Gewebe dem Weber.
»Du sagst, an den Tre Porti?« – rief der junge Mann lebhaft, als ob ein Erinnern in ihm erwache. – »Gerade dort, in der Nähe der flachen Küste, fangen die Schiffer den Wind ein, wenn der Mond untergeht, und bringen ihn gefesselt zu Dardi Seguso ... Ich will dir eines Tages die Geschichte von der Riesenorgel erzählen.«
Sie lächelte über die geheimnisvolle Art, mit der er der Handlung der Schiffer Erwähnung getan.
»Welche Geschichte?« – fragte sie, der Versuchung nachgebend. – »Und was hat Seguso damit zu tun? Sprichst du von dem Meister der Glasbläserei?«
»Ja; aber er war ein alter Meister, der griechisch und lateinisch konnte, und Musik und Architektur, der in der Akademie der Pellegrini zugelassen war und seine Gärten in Murano hatte, der häufig an Vedellios Tafel in dessen Haus in der Gegend der Biri speiste, der Freund von Bernardo Cappello, von Jacopo Zane und anderer in Petrarkas Geist lebender Patrizier ... Gerade in Caterino Zenos Haus sah er die berühmte Orgel, die für Matthias Corvinus, König von Ungarn, gebaut worden war; und seine große Idee kam ihm im Laufe einer Unterhaltung mit jenem Agostino Amadi, dem es gelungen war, für seine Instrumentensammlung eine echte griechische Lyra, eine große siebensaitige lesbische Leier, reich mit Elfenbein und Gold eingelegt, aufzutreiben... Ach, kannst du sie dir vorstellen, diese Reliquie aus der Schule von Mytilene, nach Venedig übergeführt von einem Ruderschiff, das in seinem Kielwasser den Leichnam der Sappho wie ein Bündel trockenen Grases hinter sich her schleift, bis Malamocco? Aber das ist eine andere Geschichte.«
Wieder schien die rast- und ruhelose Frau ihre Jugend wieder zu finden, um zu lächeln wie ein erstauntes Kind, dem man ein Bilderbuch zeigt. Wie viele wunderbare Geschichten, wie viele köstliche Phantasien hatte der Erfindungsreiche nicht für sie gefunden auf dem Wasser, im langsamen Fluß der Stunden! Wie viele Zaubermärchen hatte er nicht für sie erdichtet nach dem Rhythmus des Ruders, mit seinem Worte, das alles leibhaftig zu schaffen verstand! Wie oft hatte sie nicht an seiner Seite, in dem leichten
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