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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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Schwarm unsichtbarer Vögel, das dann und wann bis zu ihnen drang: all diese zarten, anmutenden Dinge verschwanden neben dem Spiel jener flüchtigen Erscheinungen, neben den Farben dieser der Salzflut entstiegenen Gräser, die in der Wechselfolge der Fluten lebten und sich wanden und schlangen wie unter einer gegenseitigen Liebkosung. Zwei Wunder schienen zusammenzuwirken, um ihnen Farbe zu verleihen. Grün wie das Korn, das aus der Furche geboren wird, und rot wie das Laub, das auf der jungen Eiche stirbt, und grün und rot in den zahllosen Nuancen der pflanzen, die keimen und sterben, erweckten sie das Bild einer zwiefachen Jahreszeit, die der Lagune in ihrem Bette zu eigen wäre. Das Tageslicht, das durch ihre Durchsichtigkeit hindurchleuchtete, erschien nicht schwächer, sondern geheimnisvoller, so daß ihre zärtliche Geschmeidigkeit daran gemahnte, daß sie der Anziehungskraft des Mondes unterworfen seien.
    »Und warum also grämte sich Perdilanza?« – fragte die Frau, in ihrer Stellung, über das Wasser gebeugt, verharrend.
    »Weil sowohl im Munde, wie im Herzen des Geliebten ihr Name ausgelöscht war neben dem Namen Temódia, den er mit leidenschaftlicher Inbrunst aussprach, und weil die Insel der einzige Ort war, dessen Zugang ihr versagt wurde. Dort hatte er seine neue Werkstatt aufgeschlagen, und dort blieb er einen großen Teil des Tages und fast die ganze Nacht zusammen mit seinen Gehilfen, die er vor dem Altar mit heiligem Eide zur Geheimhaltung verpflichtet hatte. Der Rat, der angeordnet hatte, daß der Meister mit allem versehen würde, dessen er zu seiner schrecklichen Arbeit bedürfe, verurteilte ihn zugleich zur Enthauptung für den Fall, daß das Werk dem stolzen Versprechen nicht gleichkäme. Von Stund' an trug Dardi einen scharlachroten Faden um seinen nackten Hals.«
    Träumerisch erhob sich die Foscarina, um sich wieder bequem zurechtzusetzen. Zwischen den Erscheinungen des Meeresgrundes und jenen der Geschichte verirrte sie sich wie in dem Labyrinth; und sie begann dieselbe qualvolle Angst zu empfinden und in ihrem Geiste Wirklichkeit und Traum zu verwechseln. Mit jenen seltsamen Gestalten schien er von sich selbst zu sprechen,wie damals, als er beim letzten Abendläuten im September ihr den Mythus vom Granatapfel erzählt hatte; und der Name der erdichteten Frau fing genau mit denselben beiden ersten Silben an, wie der Name, den er ihr damals gegeben! – Wollte er unter dem Schleier dieser Erzählung ihr irgend etwas andeuten? Was mochte es sein? Und warum gefiel er sich in der Nähe des Ortes, wo sie von dem fürchterlichen Lachkrampf befallen worden, in dieser Phantasie, die von der Erinnerung an das zerbrochene Kelchglas inspiriert schien? – Der Zauber war gebrochen, die selige Vergessenheit gelöst. Indem sie zu verstehen suchte, ward ihr selbst dieser Traum ein Gegenstand neuer Qual. Sie schien sich nicht zu erinnern, daß ihr Freund von der bevorstehenden Trennung ja nichts wußte. Sie sah ihn an und fand in seinem Gesicht jenen intellektuellen Glücksausdruck, der wie etwas Ehernes, Stahlhartes darin zu leuchten pflegte. Instinktiv sagte sie innerlich zu ihm: ›Ich gehe fort; tu' mir nicht wehe!‹
    »Zorzi, was ist das weiße, was dort unter der Mauer schwimmt?« fragte er den hinten sitzenden Ruderer.
    Sie fuhren längs der Küste von Murano. Man erblickte die Mauern der Gärten, die Wipfel der Lorbeerbäume. Der schwarze Rauch der Schmelzöfen schwebte gleich Trauergewändern in der silbernen Luft.
    Die Schauspielerin überkam mit einem plötzlichen Schauder die Vision des fernen Hafens, in dem das riesige, stoßende Schiff ihrer wartete; sie sah vor sich die ewige Wolke über der abstoßenden Stadt mit den Tausenden und Tausenden von Schornsteinen, mit den Bergen von Kohlen, den Wäldern von Schiffsmasten, den ungeheuren Kriegsschiffen; sie hörte deutlich den Lärm der Hämmer, das Kreischen der Winden, das Keuchen der Maschinen, das endlose Stöhnen des Eisens in dem rotglühenden Qualm.
    »Das ist ein toter Hund« – sagte der Ruderer.
    Eine aufgedunsene gelbliche Tierleiche trieb auf dem Wasser, dicht bei der roten Ziegelmauer, in deren Fugen Gräser und Blumen, Kinder der Zerstörung und des Windes, lustig wucherten.
    »Schnell fort!« – schrie Stelio, von Ekel durchschüttelt.
    Die Frau schloß die Augen. Das Schiffchen schoß wie ein Pfeil unter der Anstrengung der Ruderer dahin und flog über das milchweiße Wasser. Der Himmel wurde ganz klar. Ein gleichmäßiger

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