Feuer (German Edition)
aufgedeckt und die Gesichter der Atriden gesehen hat, hier ist er, geblendet von dem Wunder des Todes und des Goldes! Er ist hier und gleicht einem Fieberrasenden. Die Seelen zittern. Wird die Sage aus dem Boden auferstehen, um die Menschen noch einmal zu täuschen? Die Seelen erzittern in bangem Erwarten, plötzlich stürzt sich die Macht des Fluches und der Vernichtung auf sie, packt sie und schleift sie zu der erniedrigenden Schuld. Der verzweifelte Kampf beginnt. Die Tragödie trägt nicht mehr ihre unbewegliche Maske, sondern sie zeigt ihr nacktes Gesicht. Und das Buch, in dem die Jungfrau ahnungslos gelesen, kann nicht mehr ohne Schauder geöffnet werden, denn die Seelen fühlen, daß dieses ferne Entsetzen gegenwärtig und lebendig geworden ist und daß sie darin atmen und rasen wie in einer unabwendbaren Wirklichkeit. Die Vergangenheit ist gegenwärtig. Die Illusion der Zeit ist geschwunden. Das Leben ist einzig.«
Die Größe seiner Konzeption erschreckte ihn selbst. Zuweilen suchte er angstvoll in der Runde, forschte an den Horizonten, befragte die stummen Gegenstände, als erflehte er Beistand, als hoffte er auf eine Botschaft. Lange blieb er im Schweigen, auf dem Rücken liegend, mit geschlossenen Augen, wartend.
»Ich muß, du verstehst? ich muß vor den Augen der Menge diese ungeheuere Fülle mit einem Schlag erstehen lassen. Das ist es, worin die Schwierigkeit meines Präludiums besteht. Ich muß meine Welt aus dem Nichts aufrichten und gleichzeitig die vielfältige Seele in den für die ungewöhnliche Offenbarung empfänglichsten musikalischen Zustand versetzen. Das Orchester muß dieses Wunder vollbringen.
›Die Kunst ist, wie die Zauberei, ein metaphysisches Verfahren‹, sagt Daniele Glauro. Und er hat recht.« – – –
Zuweilen langte er im Hause seiner Freundin atemlos und erregt an, als verfolgten ihn die Erynnien. Sie fragte ihn nicht, aber ihre ganze Person wurde zu einem Besänftigungsmittel für die Unruhe.
»Ich habe Furcht gehabt« – sagte er ihr eines Tages lächelnd – »Furcht zu ersticken ... Du hältst mich wohl für toll, nicht wahr? Entsinnst du dich jenes stürmischen Abends, als ich vom Lido heimkehrte? Wie süß du warst, Fosca! Kurz zuvor, auf der Rialtobrücke, hatte ich ein Motiv gefunden. Ich hatte die Sprache der Elemente in Noten übertragen... Weißt du, was ein Motiv ist? Eine kleine Quelle, die eine Schar von Flüssen gebären kann, ein kleines Samenkorn, das einen Kranz von Wäldern erzeugen kann, ein kleiner Funke, der endlose Ketten von Feuersbrünsten entzünden kann: um es kurz zu sagen, ein schöpferischer Keim von unbegrenzter Kraft. In der Welt der idealen Triebe gibt es kein Wesen, das mächtiger, kein Zeugungsorgan, das kraftvoller ist. Und für ein tätiges Gehirn gibt es keine höhere Freude als diejenige, die ihm die Entwickelungen einer solchen Kraft geben können ... Freude, ja, aber zuweilen auch Schrecken, meine teuere Freundin!«
Er lachte sein jugendliches Lachen. Die Art, in der er von diesen Dingen sprach, war der Beweis von der außerordentlichen Gabe, die seinen Geist dem der primitiven Umbildner der Natur gleich machte. Zwischen der unwillkürlichen Mythenbildung und diesem instinktiven Bedürfnis, alles, was ihm sinnfällig begegnete, zu beseelen, war eine tiefe Analogie.
»Vor kurzem nahm ich mir vor, das Motiv dieses stürmischen Abends zu entwickeln, das ich den Schlauch des Äolus nennen will. Dies ist es.«
Er ging zum Flügel und schlug einige Tasten an, mit einer Hand nur.
»Nichts als dies! Aber du kannst dir nicht die schöpferische Kraft dieser wenigen Noten vorstellen. Ein Musikorkan hat sich aus ihnen entwickelt, und ich vermag ihn nicht zu meistern ... Übermannt, erstickt, zur Flucht gezwungen!«
Wieder lachte er. Aber seine Seele flutete gleich einem Meere.
»Der Schlauch des Windgottes Äolus, den die Gefährten des Odysseus öffnen! Entsinnst du dich? Die gefangenen Winde brausen heraus und treiben das Schiff wieder Zurück. Die Menschen erbeben in Schrecken.«
Aber seine Seele fand keine Ruhe, und nichts konnte ihn von seiner Pein befreien. Und er küßte seiner Freundin die Hände und entfernte sich von ihr; und ruhelos durchmaß er das Zimmer, blieb vor dem Klavier stehen, auf dem Donatella sich das Lied des Claudio zum Gesang begleitet hatte; erregt trat er ans Fenster und sah den entlaubten Garten, das schöne einsame Gewölk, die heiligen Türme. Seine Sehnsucht ging zu dem musikalischen Geschöpf, zu
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