Feuer (German Edition)
ihr, die die Hymnen auf dem Höhepunkt der tragischen Symphonien singen sollte.
Mit leiser und klarer Stimme sagte die Frau:
»Wenn Donatella hier mit uns wäre!«
Er wandte sich um, machte einige Schritte auf sie zu und blickte sie fest an, ohne zu sprechen. Sie lächelte ihr leises, fragendes Lächeln, als sie ihn so nah und doch so fern sah. Sie fühlte, daß er in diesem Augenblick niemanden liebte: nicht sie, nicht Donatella, sondern daß er sie beide nur als Werkzeuge der Kunst betrachtete,als anzuwendende Kräfte, »als zu spannende Bogen«. Er begeisterte sich an seinem Dichterwerk; und sie blieb dort mit ihrem armen gebrochenen Herzen, mit ihrer geheimen Todesqual, mit ihrem stummen Flehen nur darauf bedacht, ihr Opfer vorzubereiten, über die Liebe und das Leben hinwegzuschreiten wie die Heldin des Zukunftsdramas.
›Ach, was vermöchte dich mir zu nähern, dich an mein treues Herz zu werfen, dich erbeben zu machen in neuem Verlangen?‹ dachte sie, als sie ihn fremd und traumverloren sah. ›Ein großer Schmerz vielleicht: ein plötzlicher Schicksalsschlag, eine grausame Enttäuschung, ein unabänderliches Leid.‹
Sie mußte wieder an den von ihm gepriesenen Vers der Gaspara Stampa denken:
Inbrünstig leben und das Leid nicht fühlen!
Und sie sah wieder die Blässe, die sein Gesicht überzog, als sie auf dem schmalen Weg zwischen den beiden Mauern stehen geblieben war und von ihren vornehmsten Adelstiteln im Kampf ums Dasein gesprochen hatte.
›Könntest du eines Tages in Wahrheit den Wert einer Ergebenheit wie die meine, einer Unterwürfigkeit, wie ich sie dir darbiete, empfinden! Wenn du wirklich eines Tages meiner bedürfen solltest und, entmutigt, durch mich den Glauben wiedererlangtest und, ermattet, durch mich die Kraft wiederfändest!‹
Sie kam dahin, den Schmerz anzurufen zur Unterstützung ihrer Hoffnung; und während sie in ihrem Innern sagte »wenn eines Tages ...«, erfüllte sie der Gedanke an die Zeit, der Gedanke an die Zeit, die entflieht, an die Flamme, die sich verzehrt, an den Leib, der verblüht, an unendliche Dinge, die verderben und umkommen. Jeden Tag würde sie ihr nun ein Zeichen ins Gesicht graben, ihre Lippen entfärben, ihre Haare lichten, jeden Tag von nun ab würde sie im Dienste des Alters tätig sein und das Werk der Zerstörung an dem armseligen Fleische beschleunigen. »Und dann?«
Und wieder erkannte sie, daß immer das Verlangen, das unbesiegbare Verlangen der Schmied aller Illusionen und aller Hoffnungen war, die ihr zu helfen schienen, das zu vollbringen, »was über die Liebe ging«. Sie erkannte, daß jede Bemühung, es mit der Wurzel auszureißen, fruchtlos sein würde. Und in einem Augenblick sah sie den künstlichen Bau zusammenbrechen, zu dem der Wille ihre Seele gezwungen hatte. Mit heimlicher Scham empfand sie, wie jämmerlich sie in diesem Punkt der Schauspielerin gliche, die von der Bühne kommt und ihre Maske ablegt. Als sie die Worte sprach, die das Schweigen unterbrochen hatten, und im Tone der Aufrichtigkeit ein erheucheltes Bedauern ausdrückte, war es da nicht gewesen, als spielte sie eine Rolle? Aber sie hatte gelitten, sie hatte mit ihrem Herzen gerungen, sie hatte ihrem erbittertsten Blut eine solche Süße entnehmen können. »Und nun?«
Sie erkannte, daß der marternde Zwang dieser Tage nicht vermocht hatte, in ihr auch nur eine Andeutung des neuen Gefühls zu erzeugen, in das die Liebe sich erhöhen sollte. Sie glich jenen Gärtnern, die mit der Schere den eigensinnigen Pflanzen eine künstliche Form geben; aber diese bewahren dennoch den Stamm frisch und kräftig und alle ihre Wurzeln unversehrt, um mit einem schnellen und wilden Wachstum die Zeichnung zu überwuchern, es sei denn, das Eisen arbeitete unablässig in den Zweigen. Ihre Anstrengung war also ebenso schmerzlich wie unnütz; denn die Wirkung war nur eine äußerliche, der Grund blieb unverändert, ja das Übel nahm, da es zurückgehalten wurde, an Intensität zu. Ihre geheime Aufgabe beschränkte sich also auf eine beständige Verstellung! Lohnte es der Mühe, deswegen zu leben?
Sie konnte und wollte nicht weiter leben, es sei denn, sie fände ihren Lebenseinklang schließlich wieder. Aber in diesen Tagen hatte sie erfahren müssen, daß der Widerspruch zwischen ihrer Güte und ihrem begehrenden Verlangen sich noch verschärft hatte, daß ihre Unruhe und ihre Traurigkeit nur zugenommen hatten oder sich vollkommen auflösten in dem Ungestüm der schöpferischen Seele,
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