Feuer (German Edition)
jene Nacht mit Glück wie einen übervollen Kelch, für sie breitete er von neuem alle sichtbaren Güter dieser Welt.
Der Gesang wuchs an Macht; die Stimmen verschmolzen in der Begeisterung. Der Hymnus feierte jetzt den Bezwinger von Tigern und Panthern, von Löwen und Leoparden. Mänaden schienen hier zu jauchzen mit zurückgeworfenen Köpfen, mit gelösten Haaren und lockeren Gewändern, Zimbeln schlagend und Schellen schüttelnd: – Evoë!
Aber plötzlich quillt aus dem heroischen Wohlklang ein breiter pastoraler Rhythmus, der den thebanischen Bacchus mit der reinen Stirn heraufbeschwört, auf der milde Gedanken wohnen:
»Ihn, der die Rebe in engen Banden der Ulme paart
und das Weinlaub befruchtet...«
Zwei einzelne Stimmen besangen in Sextenfolge ihre Vermählung, die schmiegsame Umschlingung der grünen Ranken und Zweige. Das Bild des Lagunenschiffes, das mit Trauben beladen war wie die Bütte, die zum Keltern bereit steht, das die Worte des Dichters schon vor die Augen der Menge gezaubert hatte, erstand von neuem vor ihnen. Und es war, als ob der Gesang von neuem das Wunder verrichte, des Zeuge der kluge Steuermann aus Medien war. »Und es floß ein süßer und milder Wein durch das schwarze und schnelle Schiff ... Und es schoß eine Weinrebe empor bis hinauf in die Segel; und unzählige Trauben hingen herab. Und dunkler Efeu rankte sich um den Mast und war von Blüten ganz bedeckt. Und alle Ruderpflöcke trugen Blumenkränze ...«
Jetzt nahm das Orchester das Thema der Fuge auf und verarbeitete es in schöner Durchführung, während die Stimmen in gleichmäßigem Rhythmus über dem Orchestergewebe schwebten. Und wie ein leichter Thyrsus über der bacchantischen Menge geschwungen wird, so setzte jetzt eine einzelne Stimme wieder mit der hochzeitlichen Melodie ein, aus der die ganze Anmut der ländlichen Vermählung lachte.
»Der Ulme und der Rebe
Lebensspendender, befruchtender
Erhalter, er lebe!«
Die Solostimmen erweckten so die Vorstellung schreitender Thyriaden, die in trunkenem Taumel wollüstig ihre mit Trauben und Weinlaub geschmückten Stäbe schwingen, in lange, krokusgelbe Gewänder gehüllt, mit glühendem Antlitz und erbebend wie jene Frauen des Paolo, die sich von luftigen Balkonen neigen, den Gesang zu trinken.
Aber aufs neue erklang der heroische Freudentaumel mit dem leidenschaftlichen Ungestüm des Finale. Das Gesicht des sieghaften Gottes blitzte wieder auf zwischen den rasend geschwungenen Fackeln. Einen letzten, aufs höchste gesteigerten Jubel schmetterten Chöre und Orchester hinein in das vielköpfige, unübersehbare Ungetüm, hinaus unter die schwebende Pracht dieses Himmels, mitten in den Kreis von roten Dreiruderern und von festen Türmen und sieghaften Flotten.
Der Besieger von Indien,
Der Bezähmer aller Meere,
Der Bändiger der wilden Tiere,
Er lebe!
Stelio Effrena war auf die Schwelle getreten; mitten durch die Menge, die sich vor ihm teilte, war er in den Festsaal gedrungen; dicht neben dem Podium, auf dem Chor und Orchester aufgestellt waren, blieb er stehen. Mit unruhigen Blicken suchte er vergeblich die Foscarina in der Nähe des Himmelsglobus. Der Kopf der tragischen Muse ragte nicht mehr in den Kreis der Gestirne. Wo weilte sie? Wohin hatte sie sich zurückgezogen? Konnte sie ihn sehen, ohne daß er sie sah? – Eine unbestimmte Unruhe quälte ihn; und die Vision der Abenddämmerung auf dem Wasser, zugleich mit den Worten ihres letzten Versprechens, tauchte dunkel vor seiner Seele auf. Er betrachtete die offenen Balkone und dachte, daß sie vielleicht hinausgetreten sei in die nachtfrische Luft und daß sie vielleicht, über das Geländer geneigt, die Wogen der Musik über ihren kühlen Nacken gleiten fühlte und sie genösse wie Schauer, die von heißen Küssen herrühren.
Aber die Erwartung der Offenbarung durch jene Stimme überwog jede andere Empfindung, schlug jede andere Unruhe nieder. Er merkte, daß plötzlich eine tiefe Stille im Saal entstanden war, gerade wie in dem Augenblick, da er die Lippen geöffnet hatte, um die erste Silbe zu sprechen. Gerade wie vorher schien das veränderliche und unbeständige Ungeheuer mit den tausend menschlichen Gesichtern sich schweigend zu sammeln und seines Inhalts zu begeben, eine neue Seele zu empfangen.
In seiner Umgebung hörte er jemanden den Namen Donatella Arvale flüstern. Er sah auf das Podium, über die Violoncelli hinweg, die gleichsam eine braune Hecke bildeten. Die Sängerin blieb unsichtbar,
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