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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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verwelkt und verschmachtet herumlagen, auf und legte den Strauß auf das Kissen, auf dem ihr Kopf ruhte.
    »So?«
    Sie bewegte die Wimpern mit noch schwächerem Zeichen. Er küßte sie auf die Stirn, mitten in den Duft; dann ging er, um das Feuer zu schüren, legte viel Holz nach und fachte eine große Flamme an.
    »Dringt die Hitze bis zu dir? Erwärmst du dich?« – fragte er mit leiser Stimme.
    Er kam wieder näher und beugte sich über die arme Seele. Er hielt den Atem an. Sie war eingeschlummert. Die Verzerrung ihres Gesichts löste sich, die Linien ihres Mundes glätteten sich wieder in dem gleichmäßigen Rhythmus des Schlafes, eine Ruhe ähnlich der des Todes breitete sich über ihr bleiches Antlitz. »Schlafe! Schlafe!« Er war so voll Mitleid und Liebe, daß er diesem Schlafe eine unbegrenzte Macht des Trostes und des Vergessens hätte verleihen mögen. »Schlafe! Schlafe!«
    Er blieb vor ihr auf dem Teppich und bewachte sie. Einige Augenblicke lang zählte er ihre Atemzüge. Diese Lippen hatten gesagt: »Ich kann ein Ding tun, das die Liebe nicht vollbringen kann!« Diese Lippen hatten geschrien: »Willst du, daß ich dich zu ihr führe? Willst du, daß ich sie herrufe?« Er richtete nicht, er faßte keinen Entschluß; er ließ seine Gedanken ins Weite schweifen. Wieder fühlte er die blinden, ungebändigten Gewalten des Lebens über seinem Kopfe, über dieser Schlafenden wirbeln, und zugleich seinen schrecklichen Willen zum Leben. »Bios heißt der Name des Bogens, und sein Werk ist der Tod.«
    In der Stille sprachen das Feuer und das Wasser. Die Stimme der Elemente, die in Schmerzen entschlummerte Frau, das drohende Verhängnis, die ungeheure Größe der Zukunft, Erinnerung und Vorgefühl, all diese Zeichen schufen in seinem Geiste einen Zustand musikalischen Mysteriums, aus dem das noch ungeborene Werk entstand und Licht empfing. Er hörte seine Melodien sich ins Unendliche entwickeln. Er hörte,wie eine Person aus seiner Dichtung sagte: »Sie allein löscht unsern Durst; und all der Durst, der in uns ist, richtet sich gierig auf ihre Frische. Wenn sie nicht wäre, könnte niemand hier leben, wir müßten alle in der Dürre verschmachten...« Er sah eine Landschaft, die von dem trockenen, weißen Bette eines alten Stromes durchfurcht und von verdorrten Sträuchern spärlich bestanden war, an einem ungewöhnlich ruhigen und reinen Abend. Er sah ein verhängnisschweres, unausgesetztes, goldenes Blitzen, ein Grab voll von Leichen, die alle mit Gold bedeckt waren, Cassandras Leiche zwischen den Totenurnen bekränzt. Eine Stimme sprach: »Wie weich und locker ist ihre Asche! Sie gleitet zwischen den Fingern wie Meeressand...« Eine Stimme sprach: »Sie redete von einem Schatten, der über alle Dinge gleitet und von einem feuchten Schwamm, der alle Spuren verlöscht...« Hier wurde es Nacht: die Sterne funkelten, Myrten dufteten, eine Jungfrau öffnete ein Buch und las ein Klagelied. Und eine Stimme sprach: »Ach, die Statue der Niobe! Ehe sie starb, sah Antigone eine steinerne Statue, der ein Quell ewiger Tränen entströmte ...« Der Wahn der Zeit war verschwunden; die Ferne der Jahrhunderte war niedergerissen. Die antike tragische Seele war lebendig in der neuen Seele. Mit dem Worte und mit der Musik baute der Dichter die Einheit der Welt des Ideals von neuem auf.
     
    An einem Novembernachmittag kehrte er, von Daniele Glàuro begleitet, auf einem der kleinen Schiffe vom Lido zurück. Sie hatten das Adriatische Meer im Sturm hinter sich gelassen, und das Tosen der grünen, silbergekrönten Wogen gegen den einsamen Strand, und die Bäume von San Niccolo, die ein rasender Wind entlaubt hatte, und das Wirbeln der dürren Blätter, die aufgeregten Bilder des Landens und Abfahrens, die Erinnerung an die Armbrustschützen, die mit dem Scharlach wetteifern konnten, und an die wilden Reiterkünste von Lord Byron, der von der Unrast verzehrt wurde, sein Geschick zu überwinden.
    »Auch ich hätte heute ein Königreich für ein Pferd gegeben« – sagte Stelio Effrena, sich selbst verspottend, aufgebracht von der Mittelmäßigkeit des Daseins. Weder eine Armbrust, noch ein Pferd auf San Niccolo, und nicht einmal ein mutiger Ruderer! Perge audacter ... Da sind wir nun auf diesem elenden grauen Kasten, der wie ein Kochtopf raucht und brodelt. Sieh, wie Venedig da unten tanzt!
    Der Grimm des Meeres pflanzte sich bis in die Lagune fort. Das Wasser wogte ungestüm, und es schien, als ob die Bewegung sich den Fundamenten

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