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Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Titel: Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Calahan
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die rechte Gehirnhälfte für das linke Gesichtsfeld zuständig ist und die linke Gehirnhälfte für das rechte Gesichtsfeld, zeigte meine Uhr-Zeichnung, bei der die Zahlen ausschließlich auf der rechten Seite standen, dass meine rechte Gehirnhälfte – zuständig für das Sehen der linken Hälfte dieser Uhr – zumindest beeinträchtigt war. Solch ein visueller Neglect [Aufmerksamkeitsstörung] bedeutet jedoch nicht Blindheit. Die Netzhaut ist immer noch aktiv und sendet weiterhin Informationen zum visuellen Kortex, nur werden diese Informationen nicht genau und so verarbeitet, dass wir ein Bild »sehen« können. Einige Ärzte halten hierfür den Begriff »visuelle Indifferenz« für passender: Das Gehirn kümmert sich einfach nicht darum, was auf der linken Seite seines Universums geschieht.
    Der Uhr-Test half auch, einen anderen Aspekt meiner Krankheit zu erklären, der weitgehend ignoriert worden war: die Taubheit in der linken Körperhälfte, die inzwischen schon längst kein Thema mehr war. Der Parietallappen ist auch an Empfindungen beteiligt, seine Funktionsstörung kann zu einem Taubheitsgefühl führen.
    Alleine dieser Uhr-Test beantwortete so viele Fragen: Zusätzlich zu der Taubheit in der linken Körperhälfte erklärte er die Paranoia, die Krampfanfälle und die Halluzinationen. Er konnte sogar der Grund sein für meine eingebildeten Wanzen, denn meine »Bisse« traten auf dem linken Arm auf. Nachdem Herr Dr. Najjar eine schizoaffektive Störung, eine postiktale Psychose und eine virale Enzephalitis ausgeschlossen und die hohe Leukozytenzahl bei der Lumbalpunktion in seine Überlegungen miteinbezogen hatte, hatte er eine Erleuchtung: Die Entzündung war nahezu mit Sicherheit das Ergebnis einer Autoimmunreaktion, hervorgerufen durch meinen eigenen Körper. Aber um welche Art Autoimmunerkrankung handelte es sich? Es war ja eine ganze Reihe von Autoimmuntests durchgeführt worden, bei der jedoch nur ein kleiner Teil der etwa 100 bekannten Autoimmunerkrankungen untersucht worden war. Hier waren die Ergebnisse negativ gewesen, von diesen konnte es also keine sein. Dr. Najjar rief sich eine Reihe von Fällen einer seltenen Autoimmunkrankheit in der neueren medizinischen Literatur ins Gedächtnis, die überwiegend junge Frauen betroffen hatte, die an der University of Pennsylvania studiert hatten. Konnte es das sein?
    Es gab noch weitere Fragen: Wie stark war die Entzündung? War mein Gehirn noch zu retten? Die einzige Möglichkeit, diese Fragen zu beantworten, bot eine Hirnbiopsie, und er war nicht sicher, ob meine Eltern einer solchen zustimmen würden. Niemand hört das Wort »Hirnbiopsie« gerne, bei der ein kleines Stückchen vom Gehirn entnommen wird, um es zu untersuchen; aber ohne ein rasches Eingreifen würde sich mein Zustand nicht verbessern. Je länger das Problem ohne geeignete Maßnahmen anhielt, desto schlechter standen meine Chancen, dass ich wieder mein früheres Ich zurückerlangen würde. Während er hin- und her überlegte, zwirbelte er geistesabwesend seinen Bart und ging im Zimmer auf und ab.
    Schließlich setzte er sich nah zu mir aufs Bett. Er wandte sich meinen Eltern zu und sagte: »Ihr Gehirn steht in Flammen.« Er nahm meine kleinen Hände in seine großen und beugte sich auf Augenhöhe zu mir. »Ich werde alles für Sie tun, was in meiner Macht steht. Ich verspreche, dass ich immer für Sie da sein werde.«
    Einen Moment lang schien ich wieder zum Leben zu erwachen, erzählte er mir später. Ich bedaure, dass ich mich an nichts von dieser Schlüsselszene erinnern kann, einem der wichtigsten Momente in meinem Leben.
    Dr. Najjar sah Tränen, die sich in meinen Augenwinkeln sammelten. Ich setzte mich auf und legte meine Arme um ihn. Für ihn war dies ein weiterer entscheidender Moment: Er konnte spüren, dass ich noch vorhanden war, irgendwo. Aber es war nur ein kurzes Aufflackern. Nach diesem Erguss legte ich mich wieder hin und döste ein, erschöpft von dieser kurzen Gefühlsäußerung. Aber er wusste, dass ich da war, und er würde mich nicht aufgeben. Er bedeutete meinen Eltern, ihm aus dem Zimmer zu folgen.
    »Ihr Gehirn steht in Flammen«, wiederholte er. Sie nickten mit weit aufgerissenen Augen. »Ihr Gehirn wird von ihrem eigenen Körper angegriffen.«

Kapitel 27
Hirnbiopsie
    D as waren jedoch noch nicht alle Neuigkeiten von Dr. Najjar. »Ich denke, die nächste medikamentöse Behandlung sollte mit Steroiden erfolgen, aber wir müssen zuerst sicher sein, dass da wirklich

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