Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
du?«, schrieb Lindsey zurück, verwirrt durch die falsche Schreibweise.
»Sie entnehmen ein Stük von meinem Gehirn!«
Mein Freund Zach, der sich die Pflichten des Katzehütens mit Ginger teilte, einer anderen Kollegin und Freundin, rief auch an diesem Tag an. Ich teilte ihm die Neuigkeit genauso mit, wie ich ihm erzählt hätte, was es zum Mittagessen gab.
»Ich werde eine Hirn-Opsie bekommen«, sagte ich.
»Warte mal, Susannah. Sie werden dich am Gehirn operieren?«, fragte er, deutlich besorgt. Es war das erste Mal, dass mir gegenüber jemand direkt aussprach, wie erschreckend diese Operation klang. Ich begann, Tränen der Furcht und Verwirrung zu weinen, und hängte schließlich ein, zu sehr aus der Fassung geraten, um weitersprechen zu können.
+++
Inzwischen war das Osterwochenende gekommen. Am Samstag kam die OP-Oberschwester, um die Vorbereitungen für die Hirnoperation zu erklären. Sie wirkte fröhlich und es gelang ihr, die Biopsie wie einen Routineeingriff klingen zu lassen. Dies zerstreute die Befürchtungen meines Vaters jedoch nicht. Als sie beschrieb, wo sie meinen Kopf rasieren würden – vorne, oberhalb meiner rechten Stirn, etwa zehn Zentimeter Richtung Scheitel – hörte ich gleichgültig zu und mein Vater war von meiner Würde beeindruckt. Erst später an diesem Abend brach ich zusammen. Als mein Vater mich so aufgelöst sah, fing er ebenfalls an zu weinen. Dann hörte er mich lachen.
»Du siehst lustig aus, wenn du weinst«, kicherte ich. Plötzlich lachten und weinten wir beide gleichzeitig. Unter Tränen erinnerte er mich an unser Motto.
»Wie ist die Tendenz?«, fragte er.
»Hm.« Ich konnte mich nicht erinnern.
»Sie ist steigend. Und was bedeutet das?«
»Hm.« Ich bewegte meinen Arm nach oben, was einen Fortschritt anzeigen sollte.
»Richtig. Jeden Tag geht es besser.«
Der nächste Tag war der Ostermorgen und mein Vater brachte mir ein Osterkörbchen mit, dasselbe Körbchen, das ich seit Kindertagen immer bekam, gefüllt mit Schokolade und Geleeeiern. Er war entzückt, dass ich wieder aussah wie ein Kind, mit weit aufgerissenen Augen, bereit, mich auf die Süßigkeiten zu stürzen.
Am Montagmorgen kamen meine Eltern extra früh, erfüllt von Furcht und Aufregung zugleich. Ich für meinen Teil wirkte unnatürlich ruhig. Schließlich kam ein Pfleger, der nach Meinung meiner Eltern aussah wie von den Hells Angels, legte mich auf eine Transportliege und fuhr mich auf die OP-Station. Meine Eltern hielten sich ein paar Sekunden zurück. Jahre der Enttäuschung, emotionaler Entfremdung und belangloser Streitereien beiseitelassend, umarmten sie sich kurz und vergossen einige stille Tränen.
Der OP-Bereich war der Inbegriff der technisierten Medizin, ein steriler Ort mit Türen, die zu Dutzenden von Operationssälen führten. Hier gab es keine Landschaftsgemälde oder beruhigende Musik; hier wurden die schweren Operationen vorgenommen. Wir warteten in dem Bereich direkt vor den Aufzügen, verborgen durch breite helle Jalousien. Auf der anderen Seite trugen alle OP-Kittel.
Der Neurochirurg kam und rasierte meinen Kopf. Er rasierte eine Fläche mit einem Durchmesser von gut zwölf Zentimetern, aber obgleich ich voll bei Bewusstsein zu sein schien, schrie oder weinte ich nicht. Wieder bewunderte mein Daddy meine Stärke, auch wenn es einfach so gewesen sein könnte, dass ich keine Vorstellung davon hatte, was da mit mir passierte. Ich saß unbeeindruckt auf dem Bett, mit einem Handtuch um den Kopf, als habe ich soeben eine Badekur gemacht.
Mein Vater musste seine Tränen zurückhalten, als er sich neben mich setzte.
»Denk daran, was ich dir gesagt habe. Wie ist die Strategie?«
»Einen Schritt nach dem anderen.«
»Wie ist die Tendenz?«
»Steigend.«
Der Neurochirurg Dr. Werner Doyle zog seinen OP-Kittel an und bereitete sich für die Operation vor. Er betrat den Operationsraum, flankiert von einer OP-Schwester, einem Springer und einem Anästhesisten. Trotz der relativen Sicherheit des Verfahrens konnte noch immer einiges schieflaufen: Sie konnten die falsche Stelle für die Sektion gewählt haben, zudem ist jede Operation mit einem Infektions- und Fehlerrisiko verbunden, vor allem jede Operation am Gehirn. Aber dennoch waren Hirnbiopsien einfach, verglichen mit den komplexeren Epilepsie-Operationen, die Dr. Doyle seit Jahren durchführte.
In seinen Arbeitscomputer war ein neues MRT geladen worden, dieses leitete den Chirurgen durch ein Verfahren, das man »rahmenlose
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