Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
Informationen: Sie hat Darmkrebs, aber er wurde in einem frühen Stadium entdeckt. Debra feiert mit den Schwestern und Pflegern. Sie kamen und beteten mit ihr. Ich verstehe ihre Erleichterung, weiß, wie wichtig es ist, dass eine Krankheit auch einen Namen hat. Unwissenheit ist viel schlimmer. Bei ihrem Gebet mit den Schwestern wiederholt Debra immer wieder: »Gott ist gut, Gott ist gut.«
Als ich nach dem Lichtschalter greife, um das Licht zu löschen, fühle ich mich veranlasst, etwas zu ihr zu sagen.
»Debra?«
»Ja, meine Liebe?«
»Gott ist gut, Debra. Gott ist gut.«
Am nächsten Vormittag wurde ich entlassen und Stephen unternahm mit mir eine Autofahrt in Mamas und Allens Wagen rund um Summit. Wir fuhren an einer ehemaligen psychiatrischen Anstalt namens Fair Oaks vorbei, inzwischen ein Drogenentzugszentrum, vorbei an dem Lacrosse 9 -Feld meiner Highschool, wo ich früher einmal als Torwart gespielt hatte, und an Area 51, einem Haus in den Außenbezirken von Summit, wo unsere gemeinsamen Freunde vor Jahren gelebt und Partys gefeiert hatten. Als wir an eine rote Ampel kamen, stellte Stephen den CD-Player an. Das Geklimper spanischer Flamencogitarren dröhnte aus den Lautsprechern.
»Alle Blätter sind braun und der Himmel ist grau. Ich war auf einem Winterspaziergang.« Er erkannte den Song, es war einer seiner Lieblingssongs, der ihn in seine Kindheit zurückversetzte, als seine Mutter gerne die Mamas and Papas hörte, während sie mit ihm Besorgungen machte. »Ich betrat eine Kirche, an der ich vorbeikam. Ich kniete nieder und fing an zu beten.«
Wie auf Kommando schmetterten Stephen und ich gemeinsam den Refrain »California dreamin’ on such a winter’s day!«. Einen Moment lang schaute Stephen von der Fahrbahn weg zu mir, erstaunt und voller Freude. Hier hatte er endlich die Bestätigung, auf die er während all dieser Wochen gewartet hatte: Es gab mich noch.
9 Teamsport der Ureinwohner Amerikas (Anm. d. Red.)
Teil 3
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Ich verspürte nur, ursprünglich, elementar, jenes Daseinsgefühl, wie es in einem Tier beben mag; ich war entblößter als ein Höhlenmensch; doch dann kam mir die Erinnerung – noch nicht an den Ort, an dem ich mich befand, wohl aber an einige andere, an denen ich gewohnt hatte und wo ich hätte sein können – gleichsam als Hilfe von oben her, um mich aus dem Nichts zu ziehen, aus dem ich von selbst nicht herausgefunden hätte.
Marcel Proust, In Swanns Welt: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Kapitel 35
Das Video
I ch lege eine silberne DVD in meinen DVD-Player ein, auf der »Cahalan, Susannah« steht. Das Video beginnt. Ich sehe mich selbst in der Mitte des Bildschirms, wie ich prüfend in die Kamera blicke. Der Krankenhauskittel rutscht von meiner linken Schulter und mein Haar ist strähnig und schmutzig.
»Bitte«, sage ich lautlos.
Ich sehe mich auf dem Bildschirm, wie ich vor mich hinstarre, ich liege reglos wie eine Statue auf dem Rücken, meine Augen sind das einzige Merkmal, das die manische Angst in mir verrät. Dann wandern diese Augen und konzentrieren sich auf die Kamera, jetzt also auf mich.
Eine so geartete Angst ist nichts, was wir typischerweise auf Fotografien oder Videos von uns selbst festhalten. Aber da bin ich, starre in die Kamera, als schaute ich dem Tod ins Gesicht. Ich habe mich selber zuvor niemals so verstört und schutzlos gesehen und es erschreckt mich. Die unverhüllte Panik sorgt für Unbehagen, aber was mich wirklich verstört, ist die Feststellung, dass Emotionen, die ich einmal so tief und intuitiv empfunden haben muss, völlig aus meinem Gedächtnis verschwunden sind. Diese versteinerte Person ist mir so fremd wie eine Unbekannte und es ist mir nicht möglich, mir vorzustellen, wie es sich angefühlt haben muss, sie zu sein . Ohne diesen elektronischen Nachweis hätte ich mir nie vorstellen können, jemals so verrückt und elend gewesen zu sein.
Mein Video-Selbst verbirgt sein Gesicht unter der Bettdecke und umklammert diese so fest, dass die Fingerknöchel weiß werden.
»Bitte«, sehe ich mich wieder auf dem Video flehen.
Vielleicht kann ich ihr helfen.
Kapitel 36
Stofftiere
»W ie hat es sich angefühlt, eine andere Person zu sein?«, fragen mich die Leute.
Diese Frage kann ich unmöglich mit Überzeugung beantworten, weil ich während dieser finsteren Periode natürlich keine wirkliche Selbstwahrnehmung hatte, die mir den Luxus der Reflexion erlaubt hätte, die Fähigkeit zu sagen:
Weitere Kostenlose Bücher