Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
Stephen die Geschenke verteilt hatte, plätscherte die Unterhaltung dahin, während jeder um mich herum innerlich damit kämpfte, den oberflächlichen Redefluss aufrechtzuerhalten, und sich gleichzeitig darauf konzentrierte, den unübersehbaren »rosa Elefanten« im Zimmer zu ignorieren: meinen schockierenden Zustand. Würde ich immer so bleiben? Normalerweise hätte ich versucht, das Schweigen mit meinen Scherzen zu überspielen, aber an diesem Tag konnte ich es nicht. Stattdessen stand ich stumm und emotionslos da, innerlich verzweifelt hoffend, diesem quälenden Treffen bald entfliehen zu können.
Stephen spürte mein wachsendes Unbehagen, daher legte er einen Arm um mich und führte mich zum sicheren Auto zurück, das uns ins innere Heiligtum unserer kleinen geschützten Welt zu Hause zurückbringen würde. Obgleich die Szene kurz und weitgehend undramatisch war und im Gesamtbild unbedeutend scheinen mag, hat sie sich in mein Gedächtnis als Schlüsselmoment des ersten Genesungsstadiums eingebrannt, brutal darauf hinweisend, wie schmerzlich und lang der Weg bis zur völligen Genesung noch sein würde.
Ein weiteres Heimkommen sticht für mich aus dieser verschwommenen Zeit hervor: Das erste Mal, als ich meinen Bruder nach meinem Krankenhausaufenthalt sah. Während sich mein Leben für immer verändert hatte, hatte James sein erstes Jahr an der Universität von Pittsburgh beendet. Auch wenn er gebeten hatte, mich besuchen zu dürfen, waren meine Eltern unerbittlich dabei geblieben, dass er zuerst das Jahr abschließen solle. Als das Studienjahr endlich beendet war, fuhr mein Vater nach Pittsburgh, um meinen Bruder abzuholen, und auf der sechsstündigen Fahrt berichtete mein Daddy ihm alles, was er über die letzten Monate berichten konnte.
»Sei darauf vorbereitet, James«, warnte mein Vater ihn. »Es ist schockierend, aber wir müssen uns auf das Positive konzentrieren.«
Als sie ankamen, war ich mit Stephen außer Haus. Mein Vater setzte James in der Einfahrt ab, weil meine Eltern, auch wenn sie sich wieder besser verstanden als zuvor, noch nicht wieder gut genug miteinander standen, als dass sie sich zu Hause besuchten. James schaute ein Spiel der Yankees an, während er meine Ankunft unruhig erwartete. Als er das Knarren der Hintertür hörte, sprang er von der Couch auf.
Das Bild, wie ich durch die Tür kam, wird er nie vergessen, sagte er. Ich trug eine übergroße, verkratzte Brille, einen weißen Cardigan, der mir zwei Nummern zu groß war, und ein mittellanges schwarzes Zeltkleid, das um meine Figur schlotterte. Mein Gesicht war aufgedunsen und bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Als ich an Stephens Arm unsicher die Stufen herauf und durch die Tür kam, schien es, als sei ich gleichzeitig um 50 Jahre gealtert und um 15 Jahre jünger geworden, eine groteske Mischung aus älterer Frau ohne ihre Gehhilfe und einem Kleinkind, das gerade das Laufen lernt. Er beobachtete mich, doch es verging einige Zeit, bis ich seine Anwesenheit im Zimmer bemerkte.
Für mich war es eine genauso starke Begegnung. Er war immer mein kleiner Bruder gewesen, aber nun war er über Nacht ein Mann geworden, mit Bartstoppeln und breiten Schultern. Er schaute mich mit einer so umwerfenden Mischung aus Überraschung und Sympathie an, dass ich beinahe in die Knie gegangen wäre. Erst als ich seinen Blick sah, wurde mir klar, wie krank ich noch immer war. Vielleicht war es unsere enge geschwisterliche Beziehung, die diese Erkenntnis hervortreten ließ, vielleicht war es aber auch, weil ich mich immer als ältere Beschützerin von Baby James gesehen hatte und die Rollen sich nun eindeutig umgekehrt hatten.
Als ich nun so schwankend in der Tür stand, liefen James und meine Mama zu mir, um mich zu umarmen. Wir weinten alle und flüsterten »ich liebe dich«.
Kapitel 37
Wild at Heart
W enn ich keine Arzttermine hatte, erlaubten mir meine Eltern, alleine in Summits idyllisches Stadtzentrum zu gehen, um bei Starbucks einen Kaffee zu trinken, während sie es bisher nicht gestatteten, dass ich alleine mit dem Zug fuhr, um Stephen in Jersey City zu besuchen. Daher fuhr James mich meistens spazieren.
Es dauerte rund eine Woche, bis James sich nach seiner Heimkehr von der Uni mit dieser neuen, gedämpften und desorientierten Schwester wohlfühlte. Ich hatte immer gerne geglaubt, im Lauf unseres Lebens eine wichtige Rolle für James’ Hipness gespielt zu haben – indem ich ihm Red-Hot-Chili-Peppers-CDs ins Studentenwohnheim schickte, ihn
Weitere Kostenlose Bücher