Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
bringen. Ich begann, To-do-Listen zu führen mit den Namen von Leuten, bei denen ich mich bedanken wollte, mit Projekten, die ich beginnen wollte, oder Artikeln, die ich eines Tages schreiben wollte. Jeden Morgen plante ich meinen Tag einschließlich so unbedeutender Dinge wie »in die Stadt gehen« oder »Zeitung lesen«, sodass ich die Befriedigung erleben konnte, sie nach Erledigung durchzustreichen. Das waren entscheidende kleine Details, weil sie zeigten, dass mein Frontallappen, der »CEO«, begann, sich selbst zu regenerieren.
Anstatt an der Reha an Therapien zur Wiederherstellung meiner kognitiven Fähigkeiten teilzunehmen, die meine Ärztin empfohlen hatte, lernte ich für das Graduate Record Exam 10 , denn ich glaubte eine gewisse Zeit lang, ein weiterer Schulbesuch könne der nächste Schritt in meinem düsteren Schicksal sein. Ich kaufte mir mehrere Studienführer zur Vorbereitung, wobei ich jedes Wort, das ich nicht kannte, auf eine Karteikarte schrieb, diese durchging und dann wiederum die Worte aufschrieb, die ich mir nicht merken konnte. Dafür gingen Seiten über Seiten meines Tagebuchs drauf, weil ich mir neue Worte nicht mehr so gut merken konnte wie früher.
Ich begann auch, den 1000 Seiten starken ungewöhnlichenRoman von David Foster Wallace Unendlicher Spass zu lesen, weil ein wichtigtuerischer Professor einmal entsetzt gewesen war, dass ich das Buch noch nicht gelesen hatte. Mit einem Lexikon in der Hand las ich den Roman und blieb bei etwa jedem zweiten Wort hängen, um eine Definition nachzuschlagen. Ich führte eine fortlaufende Datei aller Begriffe in dem Buch, die ich nachsehen musste. Die Wörter, die ich herauspickte, sind mir auch heute noch fremd, aber sie sind auch merkwürdig aufschlussreich:
effete (Adjektiv): nicht mehr fruchtbar; charakterlos, entkräftet, erschöpft; durch Schwäche oder Verfall gekennzeichnet
teratogen (Adjektiv): sich beziehend auf Fehlbildungen beim Embryo oder diese verursachend
Lazarett (Substantiv): Krankenhaus
Ich schenkte dem Vokabular eine so eifrige Aufmerksamkeit, und doch musste ich, wenn mich jemand fragte, wovon das Buch handelte, gestehen: »Keine Ahnung.«
Ich beschäftigte mich zunehmend mit meinem körperlichen Zustand. Meine Tagebucheinträge in dieser Zeit spiegeln eine wachsende Besorgnis darüber wider, wie viel ich zugenommen hatte. Mein geblähter Bauch, die mit Cellulitis bedeckten Oberschenkel und meine Pausbacken ekelten mich an, und ich versuchte vergeblich, in reflektierenden Flächen mein Spiegelbild zu ignorieren. Oft saß ich draußen bei Starbucks und machte eine Bestandsaufnahme der vielen verschiedenen Frauentypen, die vorbeigingen: »Die Oberschenkel würde ich nehmen« oder »Mit ihr würde ich komplett tauschen« oder »Ich hätte gerne ihre Arme«.
Ich beschrieb mich selber als »fettes Schweinchen«, begehrte dagegen auf, wie aufgequollen mein Körper und mein Gesicht erschienen. »Ekelhaft«, schrieb ich am 16. Juni. »Ich mache mich selber krank.«
Sicher, ich hatte eine Menge zugenommen, seit ich, mit (für mich) unnatürlich mageren 50 Kilogramm aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Gerade einmal drei Monate später hatte ich gute 20 Kilogramm zugelegt, etwa 9 Kilogramm davon waren die normale Zunahme auf mein übliches Gewicht und rund 11 Kilogramm waren den Nebenwirkungen der Steroide und Antipsychotika zuzuschreiben sowie meiner sitzenden Lebensweise und dem ständigen Genuss von Minz-Schokostreusel-Eiscreme. Die Steroide sorgten auch für mein Vollmondgesicht mit Hamsterbacken, sodass ich mich im Spiegel kaum selbst erkannte. Ich fürchtete, ich würde dieses Zusatzgewicht nie wieder loswerden und für immer in diesen mir fremden Körper gezwungen bleiben. Das Problem war sehr viel oberflächlicher – aber einfacher anzupacken – als meine echten Sorgen, für immer in meinem kaputten Gehirn gefangen zu bleiben. Inzwischen ist mir klar, dass ich mich so auf meinen Körper konzentrierte, weil ich mich meinen kognitiven Problemen nicht stellen wollte, die sehr viel komplizierter und verstörender waren als ein paar Zahlen auf der Waage. Wenn ich mir darüber Sorgen machte, für immer dick und damit in den Augen meiner Nächsten verunstaltet zu bleiben, machte ich mir im Grunde darüber Sorgen, wer ich sein würde: Würde ich für den Rest meines Lebens so langsam, mürrisch, alles andere als komisch und dumm bleiben, wie ich mich jetzt fühlte? Würde ich jemals den Schwung wiedererlangen, der mich
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