Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
zurück.
Ich tippte »NDMA« ins Suchfeld. Ein industrielles Abbauprodukt? »Wie heißt das noch mal?«, rief ich wieder.
Sie kam in die Küche. »Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis.«
Ich googelte den korrekten Begriff und fand ein paar Seiten, zumeist Zusammenfassungen aus Artikeln in medizinischen Fachzeitschriften, aber keine Wikipedia-Seite. Nachdem ich mich durch einige Seiten gescrollt hatte, stieß ich auf eine »Diagnose«-Kolumne des New York Times Magazine über diese Krankheit. Darin wurde über den Fall einer Frau berichtet mit denselben Symptomen wie ich, nur dass sie diesen »Ungeheuer«-Tumor hatte, ein Teratom. Einen Tag, nachdem das Teratom entfernt worden war, erwachte sie aus dem Koma und fing an, mit ihrer Familie zu sprechen und zu lachen. Die elementaren Erklärungen über das Immunsystem und das Gehirn verwirrten mich. War es eine Viruserkrankung? (Nein.) Lag die Ursache in der Umwelt? (Vielleicht, teilweise.) Ist es eine Krankheit, die man seinen Kindern weitervererben kann? (Wahrscheinlich nicht.) Es blieben viele Fragen, aber ich zwang mich, mich zu konzentrieren. Ich schickte Paul eine Zusammenfassung meiner medizinischen Geschichte und schrieb zum Schluss: »Es waren ein paar verrückte Monate, muss ich zumindest sagen. Ich weiß jetzt, was es heißt, wahnsinnig zu werden.«
Paul antwortete: »Beantwortet einen Großteil meiner Neugier«, und fügte hinzu: »Und du merkst, dass dein Humor und deine Schreibfertigkeiten zurück sind, stimmt’s? Ich bin jedenfalls dieser Meinung. Ich kann die Entwicklung in deinen E-Mails und SMS aus der Zeit deiner Krankheit bis jetzt sehen. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.«
Von dieser neuen Fähigkeit, etwas erklären zu können, aufgerichtet, fing ich an, die Krankheit ernsthaft begreifen zu wollen und wurde geradezu besessen von dem Wunsch zu verstehen, wie unsere Körper zu einem so hinterhältigen Verrat in der Lage sein können. Frustriert musste ich feststellen, dass es bei dieser Krankheit mehr gibt, was wir nicht verstehen, als Dinge, die wir bereits verstehen.
Niemand weiß, warum sich bestimmte Menschen, vor allem Menschen ohne Teratom, diese Krankheit zuziehen, und es ist noch nicht einmal ansatzweise geklärt, wie sie ausgelöst wird. Wir wissen auch nicht, wie hoch der jeweilige Anteil der Umwelt beziehungsweise der genetischen Veranlagung dabei ist. Bei Autoimmunerkrankungen insgesamt scheinen Studien darauf hinzuweisen, dass etwa zwei Drittel umweltbedingt sind und ein Drittel genetisch. War es also wirklich so, dass der hypothetische Geschäftsmann in der U-Bahn, der mich angeniest hatte, diese schreckliche Kettenreaktion in Gang gesetzt hatte? Oder war es etwas anderes in meiner Umgebung? Etwa in der Zeit, in der meine ersten Symptome auftraten, hatte ich die Empfängnisverhütung über Hormonpflaster begonnen. Konnte dies die Krankheit ausgelöst haben? Obgleich Dr. Dalmau und Dr. Najjar mir keinen Grund zu dieser Annahme gaben, entschied mein Gynäkologe, auf Nummer sicher zu gehen, und wollte mir das Hormonpflaster nicht mehr verschreiben. Könnte meine geliebte Katze der Auslöser gewesen sein? Angela, die die Katze später von mir adoptierte, erzählte mir, dass bei Dusty eine Darmentzündung diagnostiziert worden war, die wahrscheinlich durch eine Autoimmunkrankheit ausgelöst wurde. War das ein zufälliges Zusammentreffen oder haben wir uns gegenseitig etwas weitergegeben, das unsere beiden Immunsysteme dazu veranlasste, sich darauf zu stürzen? Oder lauerte in dem schmutzigen Apartment in Hell’s Kitchen irgendetwas Schädliches? Wahrscheinlich werde ich es nie erfahren. Die Ärzte gehen jedoch davon aus, dass es wahrscheinlich die Kombination eines äußeren Auslösers wie das Angeniestwerden, mit der Empfängnisverhütung oder einem Wohngift und einer genetischen Veranlagung war, die zur Entwicklung solcher aggressiven Antikörper geführt hatte. Da es so schwierig ist, die Ursache herauszufinden, ist Vorbeugung leider nicht realistisch; der Fokus muss vielmehr auf frühzeitiger Diagnose und schneller Behandlung liegen.
Andere Rätsel überwiegen. Die Fachleute wissen noch nicht einmal, warum bestimmte Menschen diesen Typ Antikörper besitzen oder warum diese genau in dieser Zeit meines Lebens zugeschlagen haben. Sie können nicht mit Sicherheit sagen, wie die Antikörper die Blut-Hirn-Schranke überwinden oder ob sie im Gehirn gebildet werden, zudem wissen sie nicht, warum sich manche Patienten vollständig
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