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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nur innerlich, sondern auch äußerlich von ihm ab; seine Hände und Knie begannen plötzlich zu zittern, als hätte er Fieber, und er ließ sich so schwer gegen den Rand des Waschbeckens sinken, dass das altersschwache Porzellan protestierend ächzte. Die Anspannung, die er draußen gerade noch unterdrückt hatte, verschaffte sich nun mit Macht Luft. Panik beherrschte für einen kurzen Moment all sein Denken, und er begann noch heftiger zu zittern. Was wollten diese Kerle von ihm? Das war keine Routinebefragung, wie Reimann ihm weismachen wollte – dann wären sie kaum zu zweit und noch dazu in Herrgottsfrühe hier aufgetaucht. Irgendetwas war passiert – aber was?
    Irgendwie gelang es Will, die Panik niederzukämpfen und seine Gedanken in halbwegs geordnete Bahnen zu zwingen, aber er kam der Antwort auf seine Fragen damit um keinen Schritt näher. Georg hatte gestern Abend irgendetwas von einem großen Ding gefaselt, das er am Laufen hatte – aber das tat er ja praktisch immer, und Will war gar nicht so versessen darauf, mehr Einzelheiten über seine zwielichtigen Geschäfte zu kennen. Ganz im Gegenteil hatte er schon das eine oder andere lukrative Angebot abgelehnt, und das aus gutem Grund. Irgendwann an einem nicht mehr näher zu definierenden Tag, der tief in seiner Vergangenheit lag, hatte er sich entschieden, die Seiten zu wechseln und seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ohne Steuern zu zahlen und ohne in irgendeine Betriebskrankenkasse einzutreten. Aber es gab Grenzen, die er nie überschreiten würde, und auch Georg und seine zwielichtigen Kumpel wussten und akzeptierten das. Die Polizei übrigens auch. Was also wollten sie von ihm?
    Mit einer zweiten, noch größeren Willensanstrengung bezwang Will das Zittern seiner Hände, aber als er den Kopf hob und sich in dem rostfleckigen Spiegel betrachtete, der über dem Waschbecken hing, erschrak er. Sein Gesicht war blass, er hatte dunkle Ringe unter den Augen, sah müde und deutlich verkatert aus, aber dazu hatte er jedes Recht der Welt. Was ihn erschreckte, war der Ausdruck tief in seinen Augen; Angst, und ein so übergroßes Schuldbewusstsein, dass es für Reimann einem unterschriebenen Blanko-Geständnis gleichkommen musste. Will hätte niemals den Fehler begangen, Polizeibeamte zu unterschätzen. Wer so weit gekommen war wie der grauhaarige Hauptkommissar, war garantiert kein Dummkopf und besaß fast zwangsläufig eine große Menschenkenntnis; und oft genug die fast an Zauberei grenzende Fähigkeit, Lüge und Wahrheit auseinander zu halten. Wenn er ihn mit diesen Augen ansah, dann musste Reimann einfach merken, dass er ihm etwas vormachte.
    Und das Unangenehmste war: Will wusste nicht einmal, was.
    Aber noch länger hier herumzustehen und zu grübeln würde die Sache nicht besser, sondern nur schlimmer machen. Will verschwendete noch eine Sekunde darauf, das schmale Badezimmerfenster hinter sich anzusehen und ganz ernsthaft die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, hinauszuklettern und einfach zu verschwinden, verwarf die Idee aber gleich wieder. Vielleicht hatte Reimann ja die Wahrheit gesagt. Vielleicht waren sie ja wirklich nur gekommen, um ihm ein paar Fragen zu stellen, und wenn er ihnen die richtigen Antworten gab, würden sie wieder gehen und ihn in Ruhe lassen. Und vielleicht gab es ja auch den Weihnachtsmann wirklich.
    Er schenkte seinem Konterfei im Spiegel ein kurzes, humorloses Lächeln, drehte den Hahn auf und schöpfte sich zwei Hände eiskaltes Wasser ins Gesicht. Rasch bückte er sich nach den Kleidungsstücken, die überall auf dem Boden verstreut lagen, suchte eine halbwegs passabel aussehende Hose und ein mäßig zerknittertes Hemd heraus, zog sich an und fuhr sich in Ermangelung einer Bürste oder eines Kamms mit den gespreizten Fingern durch das Haar. Das Ergebnis seiner Bemühungen wäre nicht dazu angetan gewesen, ihm ernsthafte Siegeschancen beim Schönheitswettbewerb einzuräumen, aber die beiden Polizisten waren vermutlich auch nicht gekommen, um PR-Fotos von ihm zu machen.
    Reimann und sein Assistent standen noch genau so da, wie er sie stehen gelassen hatte, als wäre er nicht gute fünf Minuten im Bad geblieben, sondern nur einige Sekunden. Falls Reimann sich über die vergeudete Zeit ärgerte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Mit einer gemächlichen Handbewegung stellte er den Miniaturdrachen ab, den er in der Hand gehalten hatte, eine wunderschöne Arbeit aus bearbeitetem Vulkangestein, dessen raue

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