Feuer um Mitternacht
nicht bei Petroleumlampenschein meine Notizen machen mußte. Vorausgesetzt, daß die Dame mir überhaupt ein Zimmer vermietete.
Noch bevor ich anklopfen konnte, öffnete sich die Tür. Lene Steenkamp war hager und knochig, mit weißem Haar über einem dreieckigen Gesicht. Dennoch strahlte sie Kraft aus.
„Aha. Der Herr von der Kriminalpolizei.“ Das war keine Frage — sie wußte es. Wieder jemand, der es erriet. Ich erfuhr gleich warum.
„Sie werden es mir nicht Zutrauen: Ich habe ein Telefon! Ihr Kollege Tackert rief mich an und bat, daß ich Sie in meinem Haus unterbringe. Ich habe auf Sie gewartet.“
Sie musterte mich mit Habichtsaugen.
„Und werden Sie mich aufnehmen? Ich bin gewöhnlich kein gern gesehener Gast.“
„Kommen Sie nur herein. Schließlich habe ich Herrn Tackert darum gebeten, daß er Ihnen vorschlägt, bei mir zu wohnen.“ Die alte Frau sagte das so ungeniert, als sei es eine alltägliche Sache, sich Kriminalbeamte ins Haus einzuladen. „Wie darf ich Sie anreden?“
„Mein Name ist Theo Bank“, sagte ich.
„Natürlich Kriminalkommissar?“ meinte sie augenzwinkernd. „Das sind doch die Leute, die alle schwierigen Fälle aufklären müssen.“
„Natürlich Kriminalobermeister!“ korrigierte ich. „Das sind die Arbeitsbienen für die Kriminalkommissare.“
Sie lachte, die Antwort gefiel ihr.
„Man empfängt mich selten so zuvorkommend, wenn ich dienstlich unterwegs bin“, sagte ich, während ich mich im Flur umschaute. Ausgetretene, graue Steinfliesen im Rautenmuster verlegt; Türen mit kleinen, ovalen Gucklöchern, die an Schiffsbullaugen erinnerten; schwere Füllungen, die auf massives Eichenholz hindeuteten; ungewohnte Farben — ein sattes, strahlendes Blau, ein ausgelaugtes Graugrün, ein seltsames Fleischrot.
„Siebzehnhunderteinundfünfzig erbaut und innen fast original erhalten. Steht unter Denkmalschutz“, erklärte Lene Steenkamp. „Was Ihren Empfang angeht: Neugierde! Ganz gewöhnliche Neugierde. In meinem Alter schaut man auf das, was andere tun; selbst erlebt man nichts Bedeutsames mehr. Darum möchte ich einen Jäger bei der Jagd beobachten. —
Wollen Sie noch immer bei mir wohnen?“
„Jetzt gerade!“ antwortete ich.
„Dann will ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen. Einen Schnaps können wir später zusammen trinken.“
Meistens wohne ich in den genormten Streichholzschachteln der Hotels. Dieses Zimmer war ein Juwel aus Ururgroßmutters Zeiten. Niedrige, unverschalte Balken, olivfarbene Decke mit handgemalten Blumenornamenten, ein wuchtiger Kleiderschrank, der von Profilen strotzte. Auf einer Kommode segelte in einem Glasgehäuse das Modell einer Dreimastbark über Wellen aus Gips. Das Bett war hochbordig und breit wie eine spanische Galeone.
„Hoffentlich verträgt sich antik mit moderner Kriminalistik“, sagte Lene Steenkamp, nachdem sie mir genügend Zeit gelassen hatte, alles mit den Augen abzutasten. „Aber so unmodern, daß Sie sich draußen am Ziehbrunnen waschen müssen, bin ich nicht eingerichtet. Am Ende des Korridors ist ein Badezimmer; Sie dürfen es benutzen. Meine Küche ist auch nicht schlecht. Sie können bei mir essen — als mein Gast. Es reicht für zwei."
Ich konnte meine Verwirrung nicht ganz verbergen. Sie drehte sich noch einmal in der Tür um.
„Machen Sie sich keine Gedanken über meine Polizistenfreundlichkeit. Sie können es gutmachen, indem Sie mir ab und zu abends Gesellschaft leisten. Mein Papagei ist nur ein Notbehelf. Sie wissen: Ich bin neugierig.“
Sie schloß die Tür und ließ mich allein.
Unterkunft. Mittagsgast ohne Bezahlung. Was wollte diese Lene Steenkamp von mir? Was steckte dahinter? Hatte sie selber etwas zu verbergen? Wollte sie jemanden abschirmen? Markus Unschlitt? Oder war sie tatsächlich die neugierige Alte, für die sie sich ausgab?
Bank, dachte ich, paß auf, daß sie dich nicht mit Haut und Haaren frißt...
Ich stellte meinen Koffer in die Ecke und trat an das Fenster. Das Haus gegenüber war nicht alt und schön: Kurz nach der Jahrhundertwende erbaut, schätzte ich. Für die Breite zu hoch, sah es aus, als stünde es auf Stelzen. Das flachgeneigte Pappdach lag wie ein schwarzer Deckel auf einem roten Topf. Die Fenster hatte man gewaltsam in die Länge gezogen und ihnen dann, erschrocken über das Mißverhältnis , einen flachen Bogen aufgestülpt.
Im Haus gegenüber wohnte Markus Unschlitt.
Markus Unschlitt:
die Tage danach
Zwei Klopftöne! — Pause — Ein Klopfton ! — Pause —
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