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Feuer um Mitternacht

Feuer um Mitternacht

Titel: Feuer um Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boy Lornsen
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Sylvie sofort. Sie hing unter einem von diesen verdammten Querbalken halb hinter dem Poller und wurde von den Wellen hin und her geschaukelt. Ich zerrte! Ich bekam sie nicht los! Irgendwo hakte das Kleid. Die Luft wurde mir knapp — ich mußte noch einmal nach oben. Aber beim dritten Versuch schaffte ich es. Ich packte sie unter den Armen, stemmte mich mit den Füßen vom Balken ab, zog, riß sie los. Sollte das Kleid zum Teufel gehen! Sie war leicht an die Wasseroberfläche zu bringen, hing schlaff wie eine Stoffpuppe in meinen Armen. Ich mußte sie um den Brückenkopf herumziehen nach hinten an die flache Böschung; denn nur dort konnte ich sie an Land schaffen. Es war nicht leicht, bei dem Wellengang. Die beiden Dicken warteten auf mich und halfen mir, Sylvie über die Steinböschung zu ziehen. „Blut!“ schrien beide. Und dann sah ich es auch — rot quoll es aus Sylvies rechtem Oberarm hervor! Der ganze Arm war blutverschmiert. Sie mußte sich beim Sturz an einem Nagel verletzt haben; die Balken und Poller waren ja voll von diesen gefährlichen Fleischhaken. Ich zog mein Turnhemd aus und würgte es um die Wunde. Dann versuchte ich das Wasser aus Sylvie herauszuschütteln und begann danach ihre Arme auf und nieder zu pumpen. „Der Wagen muß gleich da sein“, sagte die dritte Frau. Hoffentlich! Sylvie wollte sich nicht bewegen, schlug die Augen nicht auf. Ich wußte nicht, was ich sonst tun sollte und die Frauen auch nicht. Herausholen hatte ich sie können — jetzt lag sie da... Dann kam der Unfallwagen mit zwei Sanitätern. „Wie lange war das Mädchen im Wasser?“ fragte einer. Ich wußte es nicht. „Nicht mal vier Minuten“, antwortete eine von den beiden Frauen, die auf der Brücke zurückgeblieben waren. Ich ging weg. Ich konnte nicht mitansehen, wie sie an ihr herumhantierten. Aber sie holten Sylvie ins Leben zurück — mit dem Pull-Motor, glaub ich. Dann schoben sie die Bahre in den Wagen und fuhren ab. Später erfuhr ich, daß Sylvie auch noch eine Beule am Kopf hatte; sie mußte unten irgendwo aufgeschlagen sein und die Besinnung verloren haben. Die drei Dicken schnatterten und pumpten mich in dem Strandcafe mit heißem Kaffee voll. — Vom Landrat bekam ich eine Belobigung und ein Buchgeschenk. Jumbo Tackert schenkte mir neue Segel für mein Boot. Und Sylvie... Seit der Geschichte trafen wir uns öfter.
    Und seitdem hatte ich bei Jumbo Tackert einen Stein im Brett, den so leicht keiner wegrollte.

    Es war eine gute Idee von mir, den Pappkarton zur Tarnung auf Sellmers Schuppendach zu stellen. Nach dem Brand lagen überall so viele Dinge verstreut, daß ein Pappkarton auf einem Schuppendach nicht sonderlich auf fiel. Dahinter lag ich auf der Dachpappe, und die feuchte Kälte kroch durch die Kleider bis an meinen Bauch heran. Das Genick tat mir weh. Ich hielt den Kopf schon fast zehn Minuten lang steif im Nacken, um den Mann durch das kleine Loch im Karton zu beobachten. Wie ein Badegast sah er nicht aus. Fast alle Gäste waren in Schwärmen abgezogen, und mit ihnen verschwanden ihre Autos und Pudel. Ich hatte diesen Mann noch nie zuvor in Tarrafal gesehen. Also Kriminalpolizei!
    Sylvies Beschreibung stimmte. Er war klein und mager. In seinem grauen Mantel sah er einer frierenden Nebelkrähe ähnlich. Den Kragen hochgeschlagen, die Hände in den Manteltaschen, stand er lange Zeit auf einem Fleck und starrte mit rundem Rücken auf die verräucherten Reste, die das Feuer übrigließ.
    Er stand vor Sönderups Hintertür — da, wo diese einmal gewesen war. Jetzt gab es nur noch eine eingestürzte Mauerlücke, und durch das Loch zeigte ein verkohlter Balkenrest wie ein schwarzer Zeigefinger zu David Küppers’ Haus hinüber. Ich wußte, wie es an dieser Stelle ausgesehen hatte. Zu oft war ich um Peter Sönderups Haus herumgestrichen. Die Hintertür bestand aus zwei Hälften; man konnte beide zusammen oder sie auch einzeln öffnen. Unten hatte der Tischler ein rechteckiges Loch eingeschnitten, damit die Hauskatze kommen und gehen konnte, wie es ihr paßte. Peter Sönderup würde nicht mehr auf der unteren Tür lehnen und den Zigarrenrauch in die Gegend blasen. Und Sönderups Kater konnte nicht mehr ins Haus, weil es kein Haus und kein Katzenloch mehr gab.
    Glaubte der Mann, daß sich aus den Trümmern ablesen ließ, was wirklich geschah? Und wenn er noch tagelang hier stehenblieb — der Schutthaufen erzählte ihm nichts! Hageldorns Kastanie konnte nicht reden.
    Und ich wollte nicht reden.
    Die

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