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Feuer um Mitternacht

Feuer um Mitternacht

Titel: Feuer um Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boy Lornsen
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Kastanie hatte mir ein halbes Jahr lang gute Dienste geleistet. Nun brauchte ich sie nicht mehr. Um diese Jahreszeit bot sie nur noch bei Nacht ein gutes Versteck. Zu viele ihrer Blätter klebten, von Autoreifen festgewalzt, auf der Straße oder hingen zerlumpt in den Heckenrosen, und nur ein paar klammerten sich noch an die Zweige. Tagsüber war Anton Sellmers Schuppendach das bessere Versteck. Ich brauchte mich nur auf dem sanft abfallenden Pappbelag langzumachen, dann verbarg mich eine niedrige, dreiseitige Brüstungsmauer. Von oben konnte man mich nicht entdecken; denn nach der Seite zum Schuppen hin zeigte Sellmers Haus keine Fenster. Wenn ich’s vorsichtig anfing, erreichte ich den Platz auch bei Tag, ohne daß mich einer sah. Ich nahm den Kliffweg, kletterte bei dem halbblinden Kapitän Sievers über den Wall, rannte durch seinen verwilderten Garten an den Südwall, und wenn sich niemand zeigte, schräg über die Straße in Sellmers Garten. Dort drückte ich mich hinter die kleine Holzlaube und wartete ab. Minna Sellmer schusselte häufig im Garten herum. Zuletzt mußte ich noch eine kleine Strecke hinter den Johannisbeerbüschen entlangkriechen, bis an die Wallecke — , dann auf den Wall und mit einem Sprung aufs Dach.
    Alle unsere Häuser ducken sich hinter hohen Steinwällen. Und alle Bäume verbeugen sich nach Osten, weil der Westwind sie dazu zwingt. Nur Hageldorns Kastanie hält den Rücken gerade — die schafft der Wind nicht.
    Jetzt drehte sich der Mann einmal um sich selbst, schaute zu Küppers hinüber, dann zu Hageldorn, zu Sellmer ...
    Er kam an der verkohlten Buchsbaumhecke entlang auf mich zu. Unwillkürlich schloß ich das Auge. Unsinn! Das Loch im Karton war nur knöpf groß. Mein Auge sah er bestimmt nicht.
    Vor dem Schuppen schwenkte er nach rechts ab. Einen Augenblick sah ich sein Gesicht von der Seite — eine große Nase in einem kleinen Gesicht. War er klug oder schlau? Verstand er sein Fach? Ob er einen Revolver in der Manteltasche trug?
    Er entfernte sich wieder von mir, wich den Trümmern aus, hielt an, bückte sich, schwankte weiter...
    Ich mußte grinsen. Aber nicht über ihn. Mir fiel plötzlich ein, was Anton Sellmer da unter meinem Bauch in seinem Schuppen gelagert hatte: Gerümpel! Aus dem Leim gegangene alte Stühle, rostige Kutschenlaternen, Urgroßmutters Blumentöpfe und Petroleumfunzeln, verschimmelte Pferdegeschirre, eiserne Bügeleisen, die man früher mit Kohlenglut fütterte. Das alles trug Sellmer von Dachböden und aus Schuttkuhlen zusammen und stapelte es in seinem Schuppen auf. Im Winter machte er sich darüberher , wusch den Dreck ab, kratzte, flickte, bürstete, pinselte und — im Frühjahr waren Antiquitäten draus geworden. Dann brauchte er nur noch auf den Schwarm der Badegäste zu warten und ihnen unverschämte Preise zu nennen — die wollten es nicht besser. Ich selber hatte gesehen, wie einer von ihnen Anton Sellmer für eine alte Positionslaterne die Geldscheine nur so in die Hand rieseln ließ. Geld wie Dreck mußten die Leute verdienen, denn wie mit Dreck gingen sie damit um.
    Der Mann nahm die Hände aus den Hosentaschen und klaubte irgend etwas aus dem Schutt, rieb daran herum, drehte das Ding in den Händen.
    Was mochte er gefunden haben? Ich konnte den Gegenstand aus der Entfernung nicht erkennen. Mein Fernglas hatte ich nicht dabei, weil sich damit schlecht durch ein kleines Loch schauen ließ.
    Er stand da, wo Peter Sönderup so oft hinter dem Fenster in die Nacht hinausschaute.
    Ob ihm der Birnbaumstumpf aufgefallen war?
    Der Birnbaum...
    Jetzt war nur noch ein Stumpf vorhanden. Aber noch bis spät in den Juli hinein war es ein Birnbaum gewesen, der frühe und viele Früchte trug. Zuerst wollte ich dem Alten in einer Nacht alle Birnen klauen. Aber wie sollte ich diese Fracht transportieren? Und wohin mit den Birnen? Verschenken konnte ich sie nicht, und außer Sylvie und Tante Lene traute ich niemandem zu, daß er den Mund halten konnte.
    Mein zweiter Plan war besser.
    In einer windigen Nacht wickelte ich unseren großen Fuchsschwanz in meinen Bademantel, setzte die Pudelmütze auf und stieg aus dem Fenster. So liefen die Kinder der Gäste auch noch spätabends herum. Ein paar knallharte Regenschauer hatten die Spaziergänger in die Zimmer oder in die Autos getrieben. Motorengeräusch war günstig für das, was ich vorhatte, und nasse Kleider nahm ich in Kauf. Ich kam ungesehen in Sönderups Garten. Die Schlafzimmerfenster gingen auf die andere

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