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Feuer um Mitternacht

Feuer um Mitternacht

Titel: Feuer um Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boy Lornsen
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Übermorgen, denke ich.“
    Ich sagte dies mit Absicht. Es war eher nützlich als schädlich, wenn Frau Steenkamp sich vorher noch mit dem Jungen besprach. Ich war sicher, daß sie es versuchen würde. „Sie wissen nicht zufällig, ob Markus Unschlitt in der Brandnacht sein Elternhaus verließ?“
    „Das weiß ich zufällig nicht“, antwortete sie mit unbewegtem Gesicht.
    „Und Sie, Frau Steenkamp, verließen Sie Ihr Haus?“
    „Ja, das tat ich. Alte Frauen werden oft von der Unruhe gepackt — besonders, wenn sie allein leben. Ich verließ das Haus für eine halbe Stunde. Machte einen Spaziergang, und ich denke, ich kehrte um halb zwölf herum zurück. Genauer kann ich es Ihnen nicht sagen. Ich hatte keinen Grund, mir die Uhrzeit zu merken.“
    Noch ein Spaziergänger!
    „Tja, das wär’s“, schloß ich.
    Ich hatte nicht wenig von ihr erfahren, aber bei einigen Stellen war ich nicht sicher, ob ich die Wahrheit gehört hatte.

Markus Unschlitt:
Sylvie

    Der Tag fing gut an.
    Ungewöhnlich gut für den Oktober. Die Sonne stieg fast so strahlend wie im August in einen hohen Himmel hinein. Nur mit der Wärme sparte sie. Ein Lufthauch — denn Wind konnte man das nicht nennen — fummelte an den trockenen Blättern herum. Auf Tante Lenes Dachrinne lüfteten die Spatzen ihr Gefieder aus. Und auf dem obersten Querstab ihrer Fernsehantenne peilte eine Krähe die Lage.
    Es sah danach aus, als wollte sich das Wetter den ganzen Tag über so halten. Mir war es lieb — ich hatte mich mit Sylvie verabredet.
    Ich selber war nicht so frisch wie der Morgen. Ich hatte schlecht geträumt: eine Mischung aus dem, was ich wünschte und fürchtete. Eine verrückte Mischung! Jetzt, nach dem Aufstehen, konnte ich mich nur noch an ein paar unmögliche Bilder erinnern: Jumbo mit mir und Graueule Bank in meinem Boot, weit draußen bei der roten Spierentonne! Jumbo in Uniform und Bank natürlich wieder in seinem grauen Mantel. Jumbo wollte seinen Kollegen über Bord wälzen, brüllte dauernd: „Weg mit ihm! Er spioniert in Tarrafal! Weg mit ihm...“ Und ich schrie dazwischen: „Jumbo! Jumbooo ! Setz die Mütze auf, sonst kippen wir um!“ Denn mit dem einen Arm schwenkte Jumbo Tackert seine Mütze über dem Kopf, mit dem anderen hielt er Banks Mantel über Bord, und aus dem Mantel ragte ein überlanger Hals mit einem leichenblassen Kopf heraus. Der Kopf tauchte bei jeder Welle ins Wasser, und sobald er wieder auftauchte, sagte er ganz sanft: „Das ändert nichts. Dann kommt der nächste und macht weiter...“ Ein blöder Traum! Was Jumbos Mütze wohl mit dem Umkippen zu tun hatte!? Mir fehlte der Anfang. Ich konnte mich nicht erinnern, wie wir drei ins Boot und bis weit draußen an die rote Tonne gelangt waren. Allein mit Jumbo Tackert an Bord wären wir schon vorher mit wehender Flagge abgesoffen. Und wenn ich mir mein zerwühltes Bett betrachtete, dann mußten wir wild gekämpft haben... Dritte Stunde: Mathematik bei Weißschimmel Trautmann. Und ich war ohne Schularbeiten. Ich hatte zwar die Absicht gehabt, dann aber die Dreiecke doch nicht konstruiert. Weißschimmel veranstaltete kein Geschrei wegen der fehlenden Aufgaben — ich war sein bester Mathematikschüler. „Dann rechne sie an der Tafel vor“, sagte er friedfertig. Weißschimmel war zu sanft, um sich aufzuregen. Nichtwissen bedachte er mit einem milden Kopfschütteln, ohne langatmige Ermahnungen dranzuknüpfen. Er notierte alles in sein Gedächtnis und sparte sich die Abrechnung für die Endzensur auf. Trautmann hatte rotgeäderte Augen und zuckte mit der Nase, wie die Angorakaninchen, die er züchtete.
    Ich erledigte meine Sache fehlerlos. Ich ging an meinen Platz zurück. Der Rest der Stunde ging mich nichts mehr an. —
    Gestern abend ...
    Ich war noch einmal aufgestanden. Schaute durchs Fernglas nach drüben: Von Tante Lene und Graueule sah ich nicht mal einen Schatten. Aber die Petroleumlampe leuchtete. Sie redeten noch miteinander... Sollte ich versuchen zu lauschen? Ich zog mich an — Hemd, Hose, Pullover, alles über den Pyjama. Es war wie beim Knöpfe-Abzählen: Du tust es... Du tust es nicht... Du tust es! Ich kletterte aus dem Fenster, schlich mich über die Straße, hinter Tante Lenes Reetstapel herum in ihren Garten. Die Hintertür war nicht verschlossen. Das war mir bekannt; Tante Lene hakte immer erst über, wenn sie ins Bett ging. Zentimeterweise öffnete ich die Tür... Der Flur war dunkel. Nur das kleine Guckloch in der Wohnzimmertür schimmerte

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