Feuer um Mitternacht
ein Loch — es waren zwei Löcher in meinem Bericht von der Brandnacht.
„Ich habe dir versichert, daß ich Peter Sönderups Haus nicht angesteckt habe. Und das ist die Wahrheit!“
„Natürlich ist das die Wahrheit, Mark.“ Sylvie legte ihre Hand auf mein Knie. „Aber einer muß es doch getan haben — irgendeiner! Von allein brennt es nicht, wenn nicht gerade ein Gewitter in nächster Nähe ist. Und in jener Nacht war weit und breit kein Gewitter.“ Sie rutschte weiter nach oben, neben mich. Nun war alles vorbei. „Du warst in der Kastanie. Du hattest ein Fernglas dabei. Hast du nicht doch etwas bemerkt? Einen, der dort nichts zu suchen hatte, einen, der sich verdächtig machte? Du weißt schon... Mir kannst du es doch sagen.“
Ich kann es dir eben nicht sagen! dachte ich. Keiner machte sich verdächtig — nur ich. Ich könnte besonders die letzten Minuten so spannend schildern. Aber ich darf es nicht. Dann weißt du, daß ich mitansah , wie das Feuer ausbrach.
Und wenn du das weißt, wirst du keine Ruhe geben, bis ich dir erkläre, wieso der Wind rote Glut auf Sönderups Dach tragen konnte. Und wenn du von der Glut weißt, möchtest du noch einen Namen erfahren, den ich nicht preisgeben will. Auch dir nicht! Es ist wie mit einer Ankerkette: Wenn man den Anker aus dem Grund gerissen hat, läßt sich die Kette leicht einholen, Glied um Glied, bis man das Ende — den Anker greifen kann. Es war nicht einfach für mich, diese letzten Kettenglieder auszulassen. Ich mußte sie durch Schweigen und Lügen ersetzen. Sylvie konnte Geheimnisse für sich behalten — sicher. Wenn ich aber in Bedrängnis geriet, würde sie doch ihren Vater alarmieren, um mir zu helfen. Und Jumbo mußte es Graueule Bank sagen... Nein, vom Feuer durfte Sylvie nichts wissen. „Hast du nun dein Gedächtnis umgegraben?“ bohrte sie. „Es gibt keinen unbekannten Jemand“, antwortete ich störrisch. Und das stimmte — für mich gab es keinen Unbekannten. „Ich kann mir auch keinen aus der Luft greifen, und wenn du es noch so sehr wünschst. Manchmal kommen blöde Zufälle vor... Vielleicht liegt da das Geheimnis.“ Ich mußte abweisend sein, sonst ließ sie mich nicht in Ruhe. Daß meine Erklärung nicht viel taugte, las ich in ihrem Gesicht. Ich hätte wohl doch nicht so mißmutig sein dürfen. Aber ich wollte nicht mehr darüber reden. Nur still dasitzen wollte ich, den Arm um Sylvie legen, Zusehen, wie die Sonne Silber aufs Wasser streute, an nichts denken... Alles verkorkst ! Sylvie war von mir weggerückt, saß auf der äußersten Kante des Steins — eingeschnappt.
Das Wasser hatte sich inzwischen leise davongemacht. Tangbänder und — büschel lagen hingestreckt wie Verdurstende, die man in der Wüste alleinließ. Steine und Muscheln, dazwischen die dünnen Sandwürste der Wattwürmer wie irre Kothaufen. Alles war wieder aufgetaucht. Unser Stein war keine Insel mehr. Meine Gummistiefel warteten unnütz.
Es gab keinen Vorwand, um Sylvie ans Ufer zu tragen. Sie hätte auch nicht mitgemacht.
Ich brauchte Rat. Ich schaffte es nicht mehr allein.
Graueule Bank stand um halb sechs drüben in der Tür, schaute nach links, rechts und oben, stiefelte los, bog in die Allee ein. Ich ging ihm nicht nach. Hoffentlich kam er nicht so bald zurück.
Mutter stand noch an der Heißmangel, und Abendbrot gab es erst um halb acht.
Ich nahm den Anorak vom Haken. Ich setzte mich. Ich klemmte mir den dicken Knüppel zwischen die Beine, den ich mir vorhin gesucht und mit dem Messer angeschärft hatte. Ich suchte mir die richtige Stelle, breitete den Stoff aus, drückte ihn auf die Spitze — drückte, bis er zerriß . Dann weitete ich das Loch.
Einige Minuten später klopfte ich bei Tante Lene an. Jeremias, der Papagei, war nicht in Hochform. Er krähte wieder mal: „ Gutän Morgän !“ Dabei wußte der Schlauberger genau, daß es Abend war.
Tante Lene erriet meine Frage, noch bevor ich sie stellte. „Er kommt nicht vor acht Uhr zurück“, sagte sie. „Wir haben Zeit. Soll ich dir ein Brot mit Backkäse zurechtmachen?“
Ich schüttelte den Kopf, hatte keinen Appetit. Heute nicht. Sie setzte sich mir gegenüber, legte ihre blaugeäderten Hände auf den Tisch, wartete, bis ich den richtigen Anfang fand. Sie war Tante für mich, aber ich hätte sie auch als Mutter genommen. Die Standuhr ließ die Sekunden wie Wassertropfen in eine Schüssel ticken. Jeremias harfte mit dem Schnabel an den Drahtstäben des Käfigs herum.
Dann redete
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