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Feuer um Mitternacht

Feuer um Mitternacht

Titel: Feuer um Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boy Lornsen
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kann Sie nicht zwingen, nur bitten. Bitte, erzählen Sie mir von Tarrafal.“
    „Was wollen Sie hören?“
    „Von Markus Unschlitt, von seinen Eltern, dem Selbstmord des Vaters...“
    Sie schenkte sich ein und mir auch.
    „Jenes langgestreckte Haus, das an meinen Hintergarten grenzt, gehörte einst den Unschlitts . Bernhard Unschlitt, Markus’ Großvater, starb früh: Er erhängte sich auf dem Dachboden seines Hauses. ,Bernhard war nie richtig im Kopf‘, sagte das Dorf. Der alte Doktor Voss nannte es ,akute Schwermut’. Das Haus wurde bald darauf verkauft. Der Erlös reichte gerade zur Deckung der Schulden, und die Witwe führte einem anderen den Hausstand. Titus Unschlitt, der Sohn, streunte frei herum. Wenn er Lust hatte, verbrachte er Stunden und Tage unter meinem Dach. Er war der erste, der zu mir ,Tante’ sagte und ,Mutter“ meinte. Er war der erste, der mich gern hatte. Meine stillen Zimmer füllten sich wenigstens stunden- und tageweise mit Leben. Ich erfüllte seine kleinen und später auch seine großen Wünsche. Titus gewöhnte sich an ,Tante Lene“, und mir war es nur recht, mir genügte es, wenn ich sein Lachen hörte. Titus war eins von diesen hübschen und strahlenden Kindern, bei deren Anblick Mütter und Tanten glänzende Augen bekommen. Und meine Augen glänzten besonders, wenn ich ihn sah. Er wurde ein Mann, der sich durchs Leben lachte, der die Welt nahm, als sei sie extra für ihn gemacht. Er zeigte keine Spur der Schwermut seines Vaters. Ich war froh, aber dahinter lauerten Furcht und Sorge. ,Titus ist ein Luftikus, ein Bruder Leichtsinn‘, hörte man im Dorf. Ich stopfte ihnen das Maul, wo ich konnte: ,Was wollt ihr! Sein Vater starb, weil er nicht lachen konnte.’ Ich durfte für jemanden sorgen... Nelli Paulsen wurde Frau Unschlitt. Feuer und Wasser hatten sich zusammengetan, fürchtete ich, hoffte aber, daß es gutging. Markus war schon unterwegs. Ich würde wieder einem Kind Tante sein können... Nelli war herb und schwerblütig. Nelli wollte nur einen soliden Mann und einen geordneten Hausstand. Und sie bekam Titus, wurde von seinem Lachen aufgespießt. Nelli war die Fliege im Spinnennetz. Titus kostete Geld. Ich wußte es, und Nelli Unschlitt erfuhr es bald. Sie gab, bis ihr kleines Kapital aufgebraucht war. Nur das Haus da drüben blieb. Sie fing einen Heißmangelbetrieb an, arbeitete hart, um ihn zu behalten. Titus tat mal dies, mal das, hielt nie lange bei einer Arbeit aus. Er nahm, lachte, gab aus, fand andere Frauen. Der Streit begann, die Vorwürfe, die bitteren Worte. Markus hörte, wie er es hören wollte — er nahm die Partei des bewunderten Vaters. Titus war sein Held. Und Titus Unschlitt hatte etwas von einem lachenden Helden an sich. Um den Sohn kümmerte er sich. Er verschaffte ihm die vielen großen und kleinen Abenteuer, wie er sie selber liebte: Sie segelten bei jedem Wetter, so daß die Leute die Köpfe schüttelten; sie gingen ins Watt auf Fischfang; sie machten nachts Streifzüge an den Weststrand, wenn der Sturm das Strandgut auf den Sand warf. Markus erzählte es seiner Tante Lene, und die hörte zu, wie einst seinem Vater. Sie wartete darauf, daß er zu ihr kam, und Markus kam fast jeden Tag. Für die täglichen Notwendigkeiten sorgten zwei Frauen. Was Nelli Unschlitt nicht geben konnte, gab Tante Lene, ohne daß Nelli davon erfuhr. Dann starb Titus Unschlitt.“
    „Warum erhängte sich Unschlitt in dieser Kastanie? Warum beging er überhaupt Selbstmord? Nicht unerklärlich, sagten Sie…“
    „Warum in Hageldorns Kastanie? Darauf habe ich keine Antwort gefunden, und Sie werden auch keine finden. Wenn einer sich das Leben nehmen will, ist ein Baum so gut wie der andere. Warum es überhaupt geschehen konnte? Es gab etwas, was ihn quälte: Titus litt in dem letzten halben Jahr vor seinem Tod an unerträglichen Kopfschmerzen. Er sagte es mir, hatte Angst, dachte an seinen Vater. Ich riet ihm, so gut ich konnte, redete ihm zu, sich von einem Spezialisten untersuchen zu lassen. Er tat es, mußte aber erfahren, daß eine weitere Untersuchung bei einem anderen Spezialarzt erforderlich wäre. Ich glaube, man vermutete einen Gehirntumor, und Titus glaubte es auch. Er suchte keinen Arzt mehr auf — er nahm sich das Leben. Von einem Tag auf den anderen und ohne Abschied. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.“
    Zurück zu Peter Sönderup.
    „Es kursiert ein Gerede... Lieh sich Titus Geld von Peter Sönderup? Wissen Sie etwas darüber?“
    „Ich weiß, daß es nicht

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