Feuer und Glas - Der Pakt
auch dann noch, wenn selbst diese mächtigen Mauern nicht mehr stehen.«
»Da irrt Ihr gewaltig! Ohne das Arsenal, das Wohlstand und Sicherheit garantiert, wäre Venedig den Launen der Gezeiten ausgeliefert und jenen Kreaturen, die imstande sind, sich diese zunutze zu machen.« Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als wollte er etwas wegwischen. »Die Arbeiten an der Halle sind für kommenden Montag angesetzt. Schafft Ihr das?«
»Selbstredend, Admiral.«
Dessen Blick blieb skeptisch. »Ich werde Euch die notwendigen Leute zuteilen lassen. Tor sieben. Und jetzt entfernt Euch.«
Er ging zu seinem Stehpult und begann in einem Folianten zu blättern, während der Baumeister den Raum verließ.
»Für das Gelingen bist du mir verantwortlich«, sagte er nach einer Weile, als erinnerte er sich erst jetzt wieder, dass Marco noch anwesend war. »Sorge dafür, dass sich kein Unbefugter einschleicht. Diese Wasserleute versuchen es immer wieder. Man kann nicht vorsichtig genug sein!«
»Ich werde alles vorbereiten«, sagte Marco. »Und veranlassen, dass die Wachen verstärkt werden. Keiner von ihnen soll auch nur eine Zehe hinter unsere Mauern bekommen!«
Der Admiral nickte.
»Und Milla Cessi?«, fragte er. »Bist du in jener Angelegenheit weiter?«
Für einen Augenblick war es ganz still im Raum.
»Die Angel ist ausgelegt«, sagte Marco. »Sie wird gar nicht anders können, als anzubeißen.«
Irgendwann war Milla beinahe schwindelig von all den Holzsorten, die Marin ihr gezeigt, den einzelnen Schritten des Gondelbaus, die er ihr erklärt, den vielen Arbeitern, die er ihr namentlich vorgestellt hatte. Luca war ihnen nicht gefolgt, als warteten andere, wichtigere Dinge auf ihn. Anfangs hatte sie das irritiert, dann jedoch vergaß sie alles um sich herum, so intensiv und vielfältig waren die Eindrücke, die auf sie einströmten.
»Ihr liebt Euer Handwerk«, stellte sie fest, als sie ihren Rundgang beendet hatten. »Das spürt man aus jedem Eurer Worte.«
»Gondelbau ist kein Handwerk, Milla«, widersprach Marin temperamentvoll. »Gondelbau ist eine Kunst! Gondeln sorgen für Bewegung und Überleben in Venedig. Wie sonst sollte die Stadt existieren? In den seichten Kanälen würden andere Boote schnell auf Grund laufen.«
Sie nickte, doch nun kehrten ihre Gedanken an Luca und Alisar in aller Heftigkeit zurück.
Wo waren die beiden abgeblieben?
Verstohlen, so hoffte Milla jedenfalls, hatte sie sich mehrmals umgedreht, als plötzlich einer der Zimmerleute angerannt kam.
»Schnell, padrone !«, rief er. »Raimondo hat sich an der Säge geschnitten und blutet heftig …«
»Warte hier auf mich!«, rief Marin ihr zu und stürzte ihm hinterher.
Milla schaute den beiden nach, dann entdeckte sie den Kater, der in die Halle lief, die sie soeben an Marins Seite durchquert hatte. Sie ging ihm nach. Zwei große Tische standen an der Längsseite, übersät mit zahlreichen Konstruktionszeichnungen, und Puntino sprang so selbstverständlich hinauf, als habe er es schon viele Male zuvor getan.
Eine Katze auf dem Tisch – Savinia würde einen ihrer Wutanfälle bekommen!
»Hinunter mit dir!«, rief Milla, und zu ihrer Überraschung gehorchte er, brachte beim Herabspringen jedoch einige der Zeichnungen ins Rutschen, die raschelnd zu Boden fielen, während er das Weite suchte. Milla bückte sich, um sie aufzuheben und wieder zurückzulegen. Dabei fiel ihr Blick auf das, was sie verborgen hatten: einen großen Kupferstich, der den Plan von Venedig zeigte.
Die Stadt glich in ihrer Form einem springenden Fisch, das hatte ihr Vater ihr schon erzählt, als sie noch klein gewesen war, und was sie hier zu sehen bekam, bestätigte seine Behauptungen bis ins Detail. Der Canal Grande war abgebildet, aber auch die unzähligen anderen Kanäle, die das Häusergewirr durchzogen, dazu winzige Brücken, San Marco und all die anderen Kirchen, das riesige Gebiet des Arsenals im Osten, das wie eine Festung wirkte – als ob man aus der Vogelschau auf alles herunterblicken würde!
Der Kartenstecher muss ein wahrer Meister sein, dachte Milla.
Und er hatte sich nicht allein mit Venedig begnügt. Im unteren Teil erkannte sie die Inseln der Lagune, nicht minder perfekt ausgearbeitet: Torcello, Burano, Murano, ihre geliebte und verlorene Heimat …
Sie stutzte.
Vielleicht hatte der Kartenstecher doch nicht ganz so meisterlich gearbeitet, wie sie zunächst geglaubt hatte. Denn wo zwischen Burano und Murano doch nichts anderes war als das
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