Feuer und Glas - Der Pakt
und vor mich hingedöst, um später mit neuer Kraft noch einmal loszuziehen.« Ihre Finger krochen unruhig auf der Tischplatte umher. »Nach einer Weile kam das Gör wieder herausgelaufen, und ich dachte schon, sie hätte es sich doch noch einmal anders überlegt. Aber denkt Ihr, sie hätte mich auch nur eines Blickes gewürdigt? In Richtung Brücke ist sie gerannt, als sei ich unsichtbar!«
»Hatten da die Glocken schon zu Mittag geläutet?«
Sie schien ernsthaft zu überlegen, dann schüttelte sie den Kopf.
»Das muss eine ganze Weile zuvor gewesen sein. Auch der freundliche Herr …«
Marcos Nacken begann zu kribbeln.
»Welcher Herr?«, unterbrach er sie. »Jemand, den Ihr kennt?«
Wieder zuckte Argwohn in ihrem Blick auf. Die Aussicht auf das Silberstück jedoch schien schließlich zu überwiegen.
»Ich hab ihn schon öfter in der Taverne gesehen«, sagte sie. »Ein Glatzkopf, der Monna Savinia den Hof macht. Und er scheint ihr Herz tatsächlich erobert zu haben, denn mir hat er gesagt, dass sie bald heiraten werden. Deshalb wollte er sie ja auch überraschen.«
»Überraschen – womit?«
»Das weiß ich nicht.« Die Hände hielten plötzlich inne. »Aber Liebende soll man nicht aufhalten, so heißt es doch, oder nicht? Deshalb hab ich ihm ja auch einen klitzekleinen Hinweis gegeben.«
Marco sah sie fragend an.
»Na, der Schlüssel!«, rief sie. »Sie hatten doch einen zweiten im Blumentopf versteckt. Den muss er an sich genommen haben, denn als ich noch mal nachschauen kam, war er wie vom Erdboden verschwunden.« Ein tiefer Seufzer. »Zum Glück hab ich mich gleich auf den Nachhauseweg gemacht. Denn stellt Euch vor, sonst wäre ich ja mitten in den Brand geraten! Und so ist es doch noch ein lukrativer Tag für mich geworden. Denn kaum war ich über der Brücke, wollten alle plötzlich nur noch Wasser, Wasser, nichts als Wasser …«
Marco ließ sie weiterreden, ohne zuzuhören.
Die bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leiche, die man in der verbrannten Taverne gefunden hatte, musste also tatsächlich Salvatore Querini sein! Dazu passte, was Pino und sein Sohn endlich ausgespuckt hatten: dass kein anderer als Querini die Seile manipuliert und somit das Unglück in der Reeperei verursacht hatte.
»Was ist mit Euch?«, hörte er sie nun sagen. »Ihr seht auf einmal aus, als wäret Ihr ganz weit weg!«
»Ich muss gehen.« Marco erhob sich so abrupt, dass der Hocker gefährlich knirschte.
»Und meine Belohnung?« Die tiefliegenden Augen der alten Frau bohrten sich in sein Gesicht. »Sagtet Ihr nicht, Ihr wolltet mir die Ausfälle versüßen?«
Du hast Milla und ihre Familie verkauft, dachte Marco. Ihre Taverne ist in Flammen aufgegangen. Wie viel mag das Schwein dir dafür gegeben haben? Fünf Kupfermünzen? Sieben? Jedenfalls genug, um das Versteck zu verraten!
Sein Ekel war so groß, dass er am liebsten vor ihr ausgespuckt hätte.
»Sagtet Ihr nicht gerade, es sei dann doch noch ein besonders lukrativer Tag für Euch geworden?«, sagte Marco. »Wasser, Wasser, nichts als Wasser? Verdient am Kummer anderer habt Ihr also schon mehr als genug. Merkt Euch eins: Der Admiral mag keine Verräter. Und seine rechte Hand noch weniger!«
Mit zwei Sätzen war er an der Tür, riss sie auf und ließ das verfallene Haus hinter sich zurück.
»Ich bin so weit.« Domenico drehte sich zu ihr um, Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Er war füllig und dunkel, nicht sehnig und rothaarig wie Leandro, und doch meinte Milla plötzlich, ihren Vater sprechen zu hören. »Bist du bereit?«
»Ich bin bereit«, sagte sie.
Die Glasmischung im Steinbecken des Ofens war zähflüssig; die Farbe erinnerte Milla an hellen Honig. Sie hielt die Glasbläserpfeife hinein und wickelte das geschmolzene Glas vorsichtig auf.
»Langsam und gleichmäßig blasen.« Domenicos Stimme kam ihr vor wie ein starker Baum, an den man sich lehnen konnte. »Damit hauchst du dem Glas die Seele ein.«
Milla ließ ihren Atem fließen. Aus dem glühenden Klumpen wurde eine schillernde Blase. Plötzlich verschwamm alles um sie herum: Sie war Feuer, glühender Atem, der Sand zu Glas verwandeln konnte.
Doch konnte das für andere auch den Tod bedeuten?
Wieder züngelten Flammen, wieder brannte die Brücke. Wieder bargen Weinende verkohlte Leichen aus den Ruinen. Alles war verqualmt und dunkel von Rauch.
Würden diese Bilder sie denn niemals mehr verlassen?
»Drehen, drehen, drehen«, hörte Milla wie durch dicke Nebelwände.
Ihre Hände
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