Feuer Und Stein
ging zur Staupsäule - manche Leute muß man hinschleifen, ihn nicht - und streckte die Hände aus, damit der Korporal seine Ketten aufschließen konnte. Der Korporal wollte ihn an seinen Platz zerren, aber Jamie schüttelte ihn ab und trat einen Schritt zurück. Ich dachte fast, er wollte fliehen, doch er zog sich nur das Hemd aus. Es war zerrissen und schmutzig, aber er legte es so sorgfältig zusammen, als wär’s sein Sonntagsgewand, und tat es auf den Boden. Dann trat er aufrecht wie ein guter Soldat vor die Staupsäule und hob die Hände, um sie binden zu lassen.«
Dougal schüttelte, immer noch staunend, den Kopf. Das Sonnenlicht, das durch die Blätter der Eberesche fiel, sprenkelte ihn mit Schatten, die Klöppelspitze glichen. Es wirkte fast so, als betrachtete man ihn durch ein Deckchen. Ich lächelte, und Dougal nickte mir zu, weil er dachte, meine Reaktion bezog sich auf seine Geschichte.
»Ja, Mädel, solcher Mut ist selten. Mut im Kampf ist nicht ungewöhnlich bei einem Schotten, aber der Furcht kaltblütig entgegenzutreten - das ist bei jedem Mann rar. Er war erst neunzehn damals«, fügte Dougal ihnzu.
»Muß schauerlich anzusehen gewesen sein«, bemerkte ich ironisch. »Mich wundert, daß Ihnen nicht schlecht geworden ist.«
Die Ironie entging Dougal keineswegs, doch er reagierte nicht darauf. »Mir ist fast schlecht geworden, Mädel«, sagte er und hob die dunklen Augenbrauen. »Schon beim ersten Hieb spritzte das Blut, und binnen einer Minute war der Rücken des Jungen rot und blau. Er schrie aber nicht, flehte auch nicht um Gnade. Er drückte die Stirn fest gegen die Säule und blieb stehen. Natürlich zuckte er, wenn die Peitsche ihn traf, aber das war alles. Ich bezweifle, daß ich dazu in der Lage wäre«, bekannte Dougal. »Gibt auch nicht viele, die es könnten. Mittendrin schwanden Jamie die Sinne, und die Engländer brachten ihn mit kaltem Wasser wieder zu Bewußtsein und führten es zu Ende.«
»Abscheulich, wirklich abscheulich«, bemerkte ich. »Warum erzählen Sie mir das?«
»Ich bin noch nicht fertig.« Dougal zog seinen Dolch aus dem Gürtel und begann, sich die Fingernägel zu säubern.
»Jamie war in seinen Stricken zusammengesunken; Blut rann herab und befleckte seinen Kilt. Und genau in diesem Augenblick trat Hauptmann Randall auf den Hof. Ich weiß nicht, warum er nicht von Anfang an dabei war; vielleicht hatte er anderweitig zu tun. Jedenfalls sah Jamie ihn kommen und besaß noch die Geistesgegenwart, die Augen zu schließen und den Kopf hängen zu lassen, als wäre er bewußtlos.«
Dougal runzelte die Stirn, konzentrierte sich auf einen widerspenstigen Fingernagel.
»Der Hauptmann war äußerst ungehalten, weil man Jamie bereits ausgepeitscht hatte; anscheinend hatte er sich darauf gefreut, es selber zu tun. Trotzdem war im Augenblick nichts zu machen. Doch dann fiel ihm ein zu fragen, wie Jamie hatte fliehen können.«
Dougal hielt seinen Dolch hoch und begann, ihn an dem Stein, auf dem er saß, zu wetzen.
»Mehrere Soldaten zitterten bei Randalls Rede wie Espenlaub - der Mann versteht sich auf Worte, das muß ihm der Neid lassen.«
»O ja«, bestätigte ich trocken.
»Nun, im Laufe der Befragung kam ans Licht, daß Jamie, als sie ihn faßten, einen Kanten Brot und ein Stück Käse bei sich hatte - hatte beides mitgenommen, ehe er über die Mauer stieg. Worauf der Hauptmann eine Weile nachdachte und schließlich ekelhaft lächelte. Er erklärte, da Diebstahl ein schweres Vergehen sei, müsse die Strafe dementsprechend ausfallen, und verurteilte Jamie auf der Stelle zu weiteren hundert Peitschenhieben.«
Ich zuckte unwillkürlich zusammen. »Das wäre doch sein sicherer Tod gewesen!«
Dougal nickte. »Aye, das hat der Garnisonsarzt auch gesagt. Er hat gesagt, das könne er nicht verantworten, der Gefangene müsse sich eine Woche auskurieren, ehe er zum zweiten Mal ausgepeitscht würde.«
»Wie human!« sagte ich sarkastisch. »Und was hielt Hauptmann Randall davon?«
»Zunächst war er nicht entzückt, doch am Ende fand er sich damit ab. Dann band man Jamie los. Der Junge stolperte ein bißchen, aber er blieb auf den Beinen, und ein paar Soldaten ließen ihn hochleben, was dem Hauptmann ebenfalls kein Vergnügen
bereitete. Es gefiel ihm auch nicht, daß ein Unteroffizier Jamies Hemd aufhob und es dem Jungen reichte, obwohl diese Geste bei den Männern durchaus Anklang fand.«
Dougal drehte seinen Dolch hin und her, betrachtete ihn prüfend. Dann legte er
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