Feuer Und Stein
entdecken. Ich brachte mein Pferd zum Stehen und sprang herunter. Kampferfahren oder nicht - ich wußte nicht, wie das Pferd reagieren würde, wenn ich aus dem Sattel schießen würde. Ich kniete mich in den Schnee, stützte einen Ellbogen auf das Knie und legte die Pistole über den Unterarm, wie Jamie es mir gezeigt hatte. Hier stützen, dort zielen, hier feuern , hatte er gesagt, und das tat ich. Zu meinem Erstaunen traf ich das flüchtende Pferd. Es rutschte aus, stürzte auf ein Knie und überschlug sich in einer Wolke aus Schnee und Hufen. Ich stand auf und rieb mir den Arm, der vom Rückstoß der Pistole wie betäubt war, und beobachtete den gestürzten Soldaten. Er war verletzt, wollte aufstehen und fiel dann zurück in den Schnee. Sein Pferd, das an der Schulter blutete, trottete mit hängenden Zügeln davon.
Als ich mich ihm näherte, wußte ich, daß ich ihn nicht am Leben lassen konnte. So nahe beim Gefängnis würde er zweifellos bald gefunden werden; außerdem waren wegen der ausgebrochenen Gefangenen Suchtrupps unterwegs. Wenn er lebend gefunden würde, konnte er uns nicht nur beschreiben - und in diesem Fall wäre es um unsere Geiselgeschichte geschehen -, sondern auch verraten, welchen Weg wir eingeschlagen hatten. Es waren noch immer drei Meilen bis zur Küste; das bedeutete bei diesem Schnee zwei Reisestunden. Und dort mußten wir erst noch ein Boot finden. Ich konnte es einfach nicht riskieren, ihn dort liegenzulassen.
Er kämpfte sich auf die Ellbogen hoch, als ich näher kam. Seine Augen weiteten sich vor Erstaunen, als er mich sah; dann entspannte er sich. Ich war eine Frau. Vor mir hatte er keine Angst.
Ein Mann mit mehr Erfahrung hätte trotz meines Geschlechts das Schlimmste befürchtet, aber er war noch jung, höchstens sechzehn,
dachte ich, und mir wurde beinahe schlecht vor Entsetzen. Seine Wangen waren noch kindlich rund, obwohl sich auf seiner Oberlippe der erste Flaum zeigte. Er öffnete den Mund, stöhnte aber nur vor Schmerz und preßte sich die Hand in die Seite. Ich sah, daß Blut durch seinen Rock sickerte. Innere Verletzungen also; das Pferd muß über ihn gerollt sein. Möglicherweise würde er sowieso sterben. Aber darauf durfte ich mich nicht verlassen.
Der Dolch in meiner Rechten war unter meinem Umhang versteckt. Ich legte ihm die linke Hand auf den Kopf. Genauso hatte ich den Kopf von Hunderten von Männern berührt, um sie zu trösten, sie zu untersuchen oder sie zu beruhigen. Und sie hatten zu mir aufgeblickt, ganz so, wie es jetzt dieser Junge tat - voll Hoffnung und Vertrauen.
Ich brachte es nicht fertig, ihm die Kehle zu durchschneiden. Ich sank neben ihm auf die Knie und drehte seinen Kopf sanft von mir weg. Ruperts Methoden des schnellen Tötens hatten alle Widerstand vorausgesetzt. Da war kein Widerstand, als ich seinen Kopf so weit nach vorne bog, wie ich konnte, und ihm den Dolch in den Nacken stieß.
Ich ließ ihn mit dem Gesicht im Schnee liegen und setzte den anderen nach.
Unsere sperrige Last hatten wir unten auf einer Bank abgelegt und mit Decken zugedeckt. Murtagh und ich standen auf dem Deck der Cristabel und betrachteten die Sturmwolken am Himmel.
»Sieht aus, als hätten wir guten, stetigen Wind«, sagte ich hoffnungsvoll und hielt einen nassen Finger in die Luft.
Murtagh machte ein düsteres Gesicht. Die schwarzbäuchigen Wolken hingen über dem Hafen und ließen ihre Schneelast verschwenderisch in die eisigen Wellen fallen. »Hoffentlich haben wir eine ruhige Überfahrt. Ansonsten kommen wir drüben wahrscheinlich mit einer Leiche an.«
Als sich das Boot eine halbe Stunde später durch das aufgewühlte Meer des englischen Kanals kämpfte, wußte ich, was er mit seiner Bemerkung gemeint hatte.
»Seekrank?« fragte ich ungläubig. »Aber Schotten sind doch nie seekrank.« Murtagh antwortete gereizt: »Dann ist er wohl ein rothaariger Hottentotte. Ich weiß jedenfalls, daß er grün ist wie ein verfaulter Fisch und versucht, sich die Gedärme aus dem Hals zu
würgen. Vielleicht kommst du nun mit mir runter und hilfst mir aufpassen, daß er sich nicht die Rippen durch die Brust bohrt?«
»Verdammt noch mal«, sagte ich zu Murtagh, als wir über der Reling hingen, um uns von der aufreibenden Arbeit unter Deck zu erholen. »Wenn er weiß, daß er seekrank wird, warum hat er dann in Gottes Namen darauf bestanden, daß wir ein Boot nehmen?«
Murtagh starrte ausdruckslos in die Wellen. »Weil er ganz genau weiß, daß wir es mit ihm in diesem
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