Feuer und Wasser (Urteil: Leben!) (German Edition)
weh! Weshalb hält sie nicht ihren vorlauten Mund und belässt die Dinge einfach so, wie sie sind? Er muss nämlich mit ihnen leben und das funktioniert ziemlich gut, verdammt! Sie wirft alles durcheinander und bringt ihn dazu, sich zu vergessen. So sehr, dass sein größter Wunsch ist, sich den Arm aufzuschneiden oder ein beschissenes Messer in den Bauch zu rammen, nur, damit ihm endlich gelingt, es aus seinem Kopf zu verbannen. Warum tut sie ihm das an? Ist das ihre Vorstellung von Liebe?
Doch wie könnte Andrew erwarten, dass sie die Liebe ebenso interpretiert wie jeder andere, normale Mensch? Treffender ausgedrückt, wie er? Woher soll sie wissen, dass man den Partner nicht verletzt, wenn man liebt und ihm nicht sagt, dass er ihn anwidert? Ihn nicht in eine Richtung zwingt, in die er nicht gehen will, weil ihn das in ein unkontrollierbares, hasserfülltes Monstrum verwandelt, das besser niemals geweckt werden darf!
Das , liebe Josephine, ist das echte Monster. Das müsstest du fürchten. Denn im Gegensatz zu dem, was du als gefährlich erachtest, ist es tatsächlich in der Lage, dich zu verletzen. Du hast es zwar nach so vielen Jahren aufgerüttelt, jedoch mir die Aufgabe überlassen, es ruhig und friedlich zu halten, nicht wahr?
Trocken lacht er auf. Ja, das ist dann wieder seine Angelegenheit. Miss Kent sitzt ja im Wohnzimmer und denkt wahrscheinlich gerade darüber nach, was für ein Scheißschwein er ist, da er sich die Frechheit herausnimmt, sie zu lieben. Während er hier um alles kämpft, was er ist und was ihn ausmacht.
Mit wachsender Ungeduld wartet er darauf, dass Zorn und Schmerz von selbst verschwinden. Das tritt nur leider nicht ein. Warum auch?
Schließlich dreht er mühsam mit seiner Fausthand das Wasser ab und steigt aus der Dusche. Auf ein Handtuch verzichtet er, der Effekt wäre ohnehin gleich null, weil er es nicht wirklich halten kann. Unvermindert pressen sich seine Kiefer aufeinander, er registriert es nur noch am Rande, denn er weiß längst, was zu tun ist, um sogar diese Situation zu meistern. Entweder das oder Schmerz und Zorn werden siegen, und das darf er nun einmal nicht zulassen.
Unbeholfen zieht er seinen Morgenmantel an und öffnet danach den Schrank, in dem das Waschbecken eingelassen ist. Es dauert nicht lange, bis er findet, wonach er sucht.
Andrew verfügt über drei sehr hochwertige Trockenrasierer. Alle in der gehobenen Preisklasse angesiedelt und äußerst zweckmäßig. Doch der DS besteht immer auf der Nassrasur, er meint, sie wäre effektiver. Insgeheim muss er ihm recht geben. Sie ist es. Dafür benutzt er nicht einen dieser neuwertigen Modelle, bei denen man die ganzen Köpfe austauscht, sobald die Klingen stumpf geworden sind. Oh nein! Er besitzt einen Goldenen, von Hand Gefertigten, Altmodischen. Und dieser birgt in sich ein Geheimnis: seine Rückversicherung – der letzte Ausweg, wenn jeder sonstige Versuch gescheitert ist.
Er schraubt ihn auf – ein wenig schwerfällig, wegen der beschissenen Hände – und nimmt sie heraus: Glitzernd und funkelnd im Halogenlicht der Badbeleuchtung ruht sie auf seinem Handrücken, und plötzlich ist für ihn nichts dringlicher, als ans Ziel zu gelangen. Endlich all den Schmerz hinter sich lassen, ebenso wie das Bedürfnis, sein Gesicht zu verstecken und permanent zu heulen, als gäbe es kein Morgen mehr. Nicht weiterhin daran denken, dass sie ihn hasst, dass sie ihn ablehnt, dass er ein abgefucktes Schwein für sie ist – wie die anderen auch. Gleichermaßen mag er dieses Bild nicht länger betrachten, das in seinem Geist umherschwirrt, seitdem sie ihn damit konfrontiert hat.
Eine Gasse bei Nacht und seine Mom. Wie sie im Dreck der schmierigen Steine liegt, ihre Kleidung in Fetzen gerissen, während nicht einer – oh nein – FÜNF dreckige, brutale Kerle sich über sie hermachen. Ihre Schreie will er nicht mehr hören, gleichfalls nicht sein Wimmern, als er dem Ganzen aus dem kleinen Holzverschlag neben den Mülltonnen zuschaut – zitternd und vor lauter Scheißangst mit den Zähnen klappernd. Er hat sich ehrlich vor Schiss in die Hosen gepinkelt. Zu feige, um einzugreifen, zu schwach, um sie zu retten ...
Andrew kann das nicht länger ertragen und er würde alles dafür geben, es nicht zu müssen. Der Preis ist garantiert nicht ‚alles‘, in Wahrheit handelt es sich nicht einmal um sonderlich viel.
Norton, du gottverdammtes Arschloch, hör auf!
Unvermittelt verzieht sich Andrews Gesicht zu einem breiten Grinsen.
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