Feuerbande
Geschichte, die sich jemand anderer ausgedacht hat. Vielleicht ist das ganze Leben ein Traum.
Meine Geschichte beginnt an einem Abend im Advent. Ich weiß noch, wie ich ziellos durch die Straßen lief, an den beleuchteten Auslagen der Geschäfte vorbei, durch Menschenmengen mit Tüten und Taschen. Die Luft bestand aus Glühweinduft und dem Klang des Kinderkarussells auf dem Weihnachtsmarkt, und ich zwängte mich an Buden und Tannenbaumschmuck vorbei, an „Jingle Bells“ und Rostbratwurst. Ich nahm kaum wahr, was um mich herum passierte, und setzte einfach nur Schritt vor Schritt. Ich wollte nicht denken, ich wollte nur gehen.
Es war der Tag, an dem mein Chef mir eröffnet hatte, dass er mir leider kündigen müsse, betriebsbedingt, es täte ihm leid. Fünfundzwanzig Jahre hatte ich in dieser Firma gedient, und dann, von einem Tag auf den anderen – aus. Für die schlechte Auftragslage konnte er nichts, für den schlechten Stil dagegen schon. Kurz vor Weihnachten kündigen – und dann ab in den Urlaub. Wer nahm mich denn jetzt, in meinem Alter?
Ich hätte mich gern ausgeheult, doch niemand war da und bot mir die Schulter. Mit Männern hatte ich kein Glück gehabt und es irgendwann aufgegeben, meine Freundinnen lebten weit verstreut, wir schrieben uns nur noch hin und wieder. Ich fühlte mich nutzlos und allein, und ich wollte einfach nur laufen und laufen, damit ich nicht stehen bleiben musste und mich umschauen und zurückblicken auf das, was mein Leben war.
„Kauft, Leute, kauft“, verhießen die Fenster, und ich wollte ihnen entgegenschreien: „Erstickt doch alle in eurem Plunder!“ Ich starrte wütend in die Auslagen voll Glitzer und Gold und fragte mich, ob es anders wäre, in einer Familie zu feiern. „Das wird überbewertet“, erklärte ich mir selbst. „Nie gibt es soviel Streit wie zu Weihnachten. Du verpasst nichts, glaub es mir.“
Ein Kind lief vorüber, laut und kreischend, und es riss mich vorübergehend aus meinen Gedanken. Ich fand mich vor einem großen Kaufhaus wieder, im Festtagsschmuck aus Lichterketten und Tannengrün, und auf dem Bürgersteig davor patrouillierte ein Weihnachtsmann mit einer Glocke in der Hand.
„Ho, ho, ho“, murmelte ich und überlegte gerade, ob ich mir eine Flasche Wein holen und mir den Abend schön trinken sollte, als der beleibte Kerl im roten Kostüm direkt auf mich zu stolzierte.
„Sie trinken doch gar nicht“, sagte er und hob verschwörerisch die Brauen. „Dann sollten Sie es auch jetzt lassen.“
„Wie bitte?“, fragte ich irritiert. Sollte das eine Anmache sein?
„Aber nicht doch“, lächelte er, und seine Wangen schienen zu glühen. „Ich will Ihnen nur helfen. Hier, nehmen Sie.“
Und damit hielt er mir die Glocke hin, als wäre sie die Lösung für all meine Probleme.
„Hören Sie“, erklärte ich ärgerlich, denn ich war nicht in Stimmung für dumme Sprüche. „Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen, aber ich will garantiert nichts von Ihnen. Lassen Sie mich einfach in Ruhe. Okay?“ Und damit hob ich meine Hand, um die seine mit der Glocke aus dem Weg zu schlagen.
Doch da geschah etwas Seltsames. Kaum hatten meine Finger die Glocke gestreift, hielt ich sie auch schon fest in der Hand, und doch konnte ich mich gar nicht erinnern, nach ihr gegriffen zu haben.
„Dreimal“, hörte ich die Stimme des Weihnachtsmannes, und sie schien aus weiter Ferne zu kommen. „Dreimal können Sie sie benutzen.“
Und wie auf ein geheimes Kommando bewegte sich meine Hand von selbst, und die Glocke klingelte, ein erstes Mal.
Ich fand mich auf einer Ebene wieder, tief verschneit unter einer trüben Wintersonne, die es kaum durch tiefhängende Wolken schaffte. In meiner Hand hielt ich noch immer die Glocke, und mein Mund stand sicher weit offen vor Schreck, denn ich schmeckte die Kälte, die in mich hineinströmen wollte.
Wo in aller Welt war ich hier? Und wie war ich hierher gekommen?
Die Ebene breitete sich nach allen Seiten hin aus, und die Schneeschicht, die sie bedeckte, war dicht und dick. Nirgends ragte etwas heraus, nichts bewegte sich hier unter dem grauen Licht. Am Horizont meinte ich, eine Linie zu erkennen, die Bäume sein mochten, und ich beschloss, dorthin zu gehen. Es musste ein Traum sein, es ging gar nicht anders. Vielleicht war ich überfallen und niedergeschlagen worden oder hatte einen Unfall gehabt und lag jetzt bewusstlos im Krankenhaus. Vielleicht war auch alles zuviel gewesen, und mein Verstand war
Weitere Kostenlose Bücher