Feuerbande
Gedankenkontakt riss so abrupt ab, dass ich die Augen öffnete. Vor uns in der Nacht stand eine fremde Frau, wunderschön und von einem Licht umgeben, dass wir sie deutlich erkennen konnten. Vigo hielt inne und schnaufte auf. Er war selbst zu erschöpft, um zu scheuen.
Mein Mund klappte auf, und mir fehlten die Worte. Dann fiel mir wieder der Bauer ein, und gleichzeitig damit kam mir die Erkenntnis, wie lächerlich ich jetzt aussehen musste. Rasch zupfte ich meine Kleidung zurecht, schaute würdevoller drein und räusperte mich. „Wer... bist du?“
„Ich bin... ein Geschöpf des Waldes. Die Menschen nennen mich eine Fee, eine Weiße Frau, ich habe viele Namen. Früher hat es hier mehr von uns gegeben, doch jetzt... bin nur noch ich geblieben.“
Sie sah uns an, und ich spürte, dass wir gar nichts mehr zu sagen brauchten, weil sie es wusste, weil sie alles wusste. Sie lächelte mir zu, dann beugte sie sich zu Vigo hinunter und streichelte ihn sacht zwischen den Ohren. Das Pferd zuckte nicht zurück, und sein Atem wurde ruhiger. Gleichmäßiger. Kräftiger.
„Ihr beide habt dem Hof und dem Bauern darauf treu gedient, viele, viele Jahre lang. Und selbst jetzt, da seine Tage gezählt sind, setzt ihr noch einmal alles ein, um zu helfen. Ihr habt es verdient, dass auch euch geholfen wird. Hier, jetzt, und in späterer Zeit.“
Vigos Gestalt unter mir begann, sich zu wandeln. Der breite Rücken wurde schmaler, die Beine schlanker und edler geformt. Ein Mondstrahl brach durch die Wolken hervor und fiel auf die Mähne, die nicht mehr grau war wie zuvor, sondern wirkte wie aus mattem Silber. Aber das Seltsamste und Fremdartigste geschah, als die Fee ihre Hand zwischen Vigos Ohren fortzog: dort war ihm ein Horn gewachsen, silbern wie die Mähne dahinter.
„Vigo“, flüsterte ich heiser. „Vigo, du bist ein Einhorn geworden!“
„In dieser Nacht“, nickte die Fee und schaute uns beide ernst in die Augen. „Der Zauber hält nur diese Nacht. Vor dem Morgengrauen müsst ihr zuhause sein. Und wenn die Zeit gekommen ist – erinnert euch.“
Mit diesen Worten war sie verschwunden, doch mir blieb keine Zeit für Verwirrung und Rätsel. Triumphierend warf Vigo seinen schönen Einhornkopf in den Nacken, dann preschte er los wie der Wind und der Sturm. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als daran, nur nicht herunterzufallen. Die Welt um uns herum verschwand in einem Rausch aus verwischten Farben und reiner Geschwindigkeit.
Irgendwann haben wir angehalten. Irgendwann muss ich über Vigos Kopf mit dem Horn auf die Fensterbank des fremden Hauses hinübergeklettert sein, vor dem wir standen. Das Horn berührte leicht den Rahmen, und das Fenster schwang auf und ich mich hinein. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern. Es war magisch und wie ein Traum.
Ich weiß noch, dass ich durchs Haus gerannt bin, bis ich den schlafenden Doktor fand. Dann raunte ich ihm Worte ins Ohr, drängende Worte voller Magie, bis ich merkte, dass er erwachte. Er würde nicht verstehen, warum, aber er würde wissen, dass er hinaus zum Kattenhof musste, jetzt und sofort und ohne Fragen. Später würde er es „Intuition“ nennen oder auch „das zweite Gesicht“. Menschen kommen nie auf das Naheliegendste.
Zurück nach unten, zurück zu Vigo. Und wieder ein wilder Ritt durch die Nacht. Wir erreichten das Stalltor gerade, als der Mond die Wolken endgültig teilte und Vigo sein Bild im Wasserfass sah.
„Ich bin... ein Einhorn“, murmelte er ehrfürchtig.
Ich hoffte, der Doktor würde ihn nicht sehen, wenn er auf den Hof geeilt kam. Sonst müsste ich ihn noch überzeugen, wie trügerisch doch die Nachtschatten waren.
Sie brachten ihn fort, den alten Bauern, der Doktor war rechtzeitig gekommen. Doch er würde nie wieder zurückkehren, alleine konnte er nicht mehr leben. Fremde Menschen kamen zum Hof und redeten von Verkauf und Abriss. Die Hühner und Gänse wurden abgeholt, und ein Mann schaute sich Vigo an und schüttelte nur noch den Kopf.
„Wenn der niemanden fürs Gnadenbrot findet, dann nimmt ihn nur noch der Abdecker“, sagte er, und ich sorgte dafür, dass er auf dem Hof stolperte und mitten in eine Pfütze fiel.
Aber er hatte ja recht, wir wussten es alle.
„Vigo“, flüsterte ich des Nachts, denn nun ließ ich ihn nicht mehr allein. „Vigo, erinnerst du dich daran, wie du das Einhorn gewesen bist? Weißt du noch, wie schön du warst und wie stark, und wie du mich wie mit dem Wind getragen hast?“
Er bewegte
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