Feuerbluete 01 - Feuerbluete
Menschenlänge von ihnen entfernt lag ein alter Mann auf dem Steinboden. Er war in Lumpen gehüllt und völlig kahl. Seine Arme waren so dünn wie Bündel von Zweigen, der linke trug eine lange Narbe. Schaudernd sah Alena, dass ihm alle Finger fehlten, seine Hände waren nur noch unförmige Klumpen. Zehen hatte er auch keine mehr.
Der Alte sah auf, als sie sich ihm näherten, und Alena blickte in zwei dunkle Raubvogelaugen. Unwillkürlich suchten ihre Augen nach seinem Gildenamulett, nach Hinweisen an seiner Kleidung oder in seinem Verhalten, welchem Element er angehörte. Doch er trug kein Amulett. Ein Gildenloser, wurde es Alena klar, und schaudernd folgte sie Rena und Kerrik.
Nah beieinander kauerten sie sich in die Ecke.
»Ich hätte mich nicht wehren dürfen. Es waren schließlich Stadtwachen«, sagte Alena bedrückt.
»Ja, das war ziemlich dumm von dir«, sagte Kerrik, und einen Moment lang fühlte sich Alena, als würde sie ins Bodenlose stürzen. Sie schaffte es nicht, ihn anzusehen.
»Aber ich glaube, sie waren sowieso entschlossen uns zu verhaften«, fuhr er fort. »Jemand muss sie gerufen und ihnen einen Hinweis gegeben haben. Sie waren von Anfang an überzeugt, dass wir die Mörder sind.«
»Ich fürchte auch«, sagte Rena und stützte erschöpft den Kopf in die Hände. »Wir sind in die Falle getappt. Ich glaube, ich weiß, wie Cano an mein Messer herangekommen ist. Als ich gestern bei ihm war, hat mich eine der Wachen angerempelt. Wahrscheinlich hatte sie die Anweisung, mir das Messer heimlich abzunehmen. Ich habe zu spät gemerkt, dass ich das Ding nicht mehr besitze.«
»Was für eine Strafe steht in Alaak eigentlich auf Mord?«, fragte Alena.
»Seit ein paar Wintern die gleiche wie in Tassos - seit Frieden herrscht zwischen den Gilden, versuchen sie die Gesetze in den Provinzen nach und nach anzugleichen«, sagte Kerrik dumpf.
Er brauchte nicht weitersprechen. Alena kannte die Gesetze von Tassos. Wer einen Menschen bei einem ehrlichen Zweikampf oder aus Notwehr tötete, hatte keine Strafe zu fürchten. Brachte er ihn aber heimtückisch oder aus Eigennutz um, dann drohte ihm die Todesstrafe oder Verbannung in die Eiswüste von Socorro.
Rena lachte bitter auf. »Das ist wirklich Canos Meisterstück! Er vergilt Gleiches mit Gleichem. Vielleicht muss nun ich das durchmachen, was er erlebt hat. Und wenn er noch mehr Glück hat, ist er mich sogar bald für immer los. Und er braucht mich nicht mal selbst umzubringen und macht sich nicht die Hände schmutzig.«
»So weit darf es nicht kommen«, sagte Alena entschlossen. »Wir müssen hier raus.«
»Ganz recht«, sagte Kerrik und begann die Zelle Fußbreit für Fußbreit abzusuchen, die Stärke der Gitter zu testen. Hin und wieder murmelte er eine Formel vor sich hin und fluchte dann leise. »Mist. Sie haben eine Abschirmung ...«
Rena schien keine Kraft dafür aufbringen zu können, Fluchtpläne zu schmieden. Niedergeschlagen hing sie ihren Gedanken nach. Irgendwann fragte Alena ihre Freundin leise: »Woran denkst du?«
»An Tjeri«, sagte Rena und Alena störte sie nicht mehr. Ihre Gedanken schweiften zu ihrem Vater und sie spürte, wie ihre Kehle eng wurde vor Kummer. Ob er noch lebte? Sie sehnte sich nach einer Nachricht und fürchtete sich gleichzeitig davor.
Nach einer Weile begann Rena mit einem Stück Kohle, das sie aus der Tasche ihrer Tunika holte, eigenartige Symbole auf die dreckige Wand der Zelle zu schreiben. Konzentriert malte sie, wischte manches wieder aus, zeichnete anderes neu.
»Was genau soll das werden, wenn’s fertig ist?«, erkundigte sich Alena. Die Menschen der Erd-Gilde benahmen sich manchmal wirklich seltsam!
»Erinnerst du dich an die Zeichnung, die ich in Keldos Höhle aufgehoben habe?« Rena zeichnete weiter ohne sich umzusehen. »Ich hatte leider keine Gelegenheit, sie einzustecken. Aber ich habe ein ganz brauchbares Gedächtnis für solche Sachen.«
Alena betrachtete die Symbole. Es waren nur sieben Zeichen, die beiden äußeren jeweils in einem Kreis eingeschlossen.
Sie hatte keine Ahnung, was sie bedeuten sollten, und Kerriks verständnislosen Blicken nach konnte er ebenfalls nicht viel damit anfangen.
»Das erste ist eine Flamme, das vierte scheint ein Edelstein zu sein. Das sechste meint bestimmt Wasser«, sagte Rena. »Vielleicht bezieht sich das auf die Gilden? Können Feuer und Wasser, wenn sie gemeinsame Sache machen, die Lösung finden?«
Vielleicht ist das in der Mitte ein Edelstein - mein
Weitere Kostenlose Bücher