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Feuereifer

Feuereifer

Titel: Feuereifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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aber ich zuckte die Achseln; ich verstand ihn nicht. Mitch zerrte an meinem Ärmel. Ich blickte zu ihm hinunter. Er bellte mich an und lief weiter in den Sumpf hinein, weg von der Straße.
    »Versuchen Sie, uns zu folgen«, schrie ich Mr. Contreras heiser zu und winkte. Nach ein paar Minuten sah ich Mr. Contreras nicht mehr. Die hohen Gräser mit ihren grauen Barten ragten über mir auf. Die Stadt schien so weit entfernt wie ein Traum; ich nahm nur noch den schlammigen Boden wahr, die Sumpfratten, die davon-flitzten, die Vögel, die sich mit Warnrufen in die Luft erhoben. Unter dem bleigrauen Himmel verlor ich die Orientierung. Es konnte sein, dass wir im Kreis gingen, dass wir hier sterben würden, aber ich war so erschöpft, dass mich auch das nicht weiter beunruhigte. Auch der Hund war erschöpft; nur deshalb konnte ich ihm folgen. Er blieb immer etwa ein Dutzend Schritte vor mir, die Nase am Boden, und blickte nur kurz auf, um sich zu versichern, dass ich hinter ihm war. Er verfolgte die Spuren, die ein Lastwa gen im Schlamm hinterlassen hatte. Sie waren so frisch, dass die umgeknickten Pflanzen noch am Boden lagen.
    Ich trug keine Handschuhe, und meine Hände waren steif gefroren. Ich betrachtete sie, während ich vorwärtsstolperte. Sie sahen aus wie große violette Würstchen. Es wäre schön gewesen, jetzt ein gebratenes Würstchen zu essen, aber ich konnte meine Finger nicht verspeisen, das war lächerlich. Ich steckte die Hände in die Manteltaschen. Dabei stieß ich an die Thermosflasche. Sehnsüchtig dachte ich an den Bourbon. Er gehörte jemand anderem, Morrell, doch der hatte gewiss nichts dagegen, wenn ich einen Schluck trank, um mich zu wärmen. Es gab einen Grund, weshalb ich ihn nicht trinken sollte, aber ich konnte mich nicht daran erinnern. War der Whiskey vergiftet? Ein Dämon hatte ihn aus Morrells Küche gestohlen. Ein komischer, untersetzter Dämon mit buschigen, zuckenden Augenbrauen; er brachte die Flasche zu Billys Wagen und sah dann zu, wie ich sie fand. Ein Schrei unter meiner Nase schreckte mich auf. Ich war im Stehen eingeschlafen, aber Mitchs heißer Atem und sein ängstliches Jaulen brachten mich zurück in die Gegenwart, in den Sumpf, unter den düsteren Herbsthimmel, zu dieser sinnlosen Expedition.
    Mit meinen verklumpten Wurstfingern in den Ärmeln schlug ich mir auf die Brust. Ja, Schmerz war anregend. In den Fingern pochte es, und das war gut, sie hielten mich wach. Ich war mir nicht sicher, ob ich noch schießen konnte, aber auf wen sollte ich auch schießen mitten im Sumpf?
    Das Gras lichtete sich, und statt Sumpfratten sah ich rostige Dosen. Eine echte Ratte lief über den Weg und blickte Mitch herausfordernd an, doch der beachtete sie gar nicht. Er winselte jetzt unruhig und lief schneller, stieß mich mit dem Kopf an, sobald er den Eindruck hatte, dass ich ins Stocken kam.
    Mir war gar nicht aufgefallen, dass wir den Sumpf verlassen hatten, aber plötzlich waren wir auf einer Müllkippe, bahnten uns einen Weg durch Konservenbüchsen, Plastiktüten, Halterungen von Sechserpacks, zerfetzte Kleider, Autositze, Dinge, die ich lieber nicht deuten wollte, alles untergepflügt von dem Lastwagen, dessen Spuren wir folgten. Ich stolperte über einen Autoreifen, hielt mich aber aufrecht und tappte weiter.
    Der Müll endete quasi bei einem Stacheldrahtzaun, doch der Lastwagen hatte den Zaun niedergewalzt, ein drei Meter breites Stück herausgerissen. Mitch schnüffelte an einem purpurroten Etwas, das am Zaun hing, jaulte und bellte. Ich ging zu ihm und betrachtete das Ding. Es war neu, neu an dieser Stelle, meine ich, denn es hatte seine Farbe noch nicht verloren. Jedes andere Stoffstück hier war schmutzig grau. Ich versuchte, es zu betasten, aber meine Finger waren so gefühllos, dass ich nichts spürte. »Sieht aus wie Seide«, sagte ich zu Mitch. »Josie trägt keine Seide, was soll das also, Junge?«
    Er stieg über den kaputten Zaun hinweg, ich tat es ihm gleich. Dahinter rannte er los. Als ich nicht schnell genug folgen konnte, kam er zurück und zwickte mich in die Wade. Halb verdurstet, hungrig und steif vor Kälte hoppelte ich ihm hinterher, eine asphaltierte Straße entlang, einen Abhang hinauf, auf ein Plateau, auf dem das Gras sich weich unter den Sohlen anfühlte. Ich war wohl wieder eingeschlafen, denn nun war ich in einem Märchen, wo man durch den von Unholden heimgesuchten Wald wandert und zu einem Zauberschloss kommt - zum Park eines Zauberschlosses jedenfalls. In

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