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Feuereifer

Feuereifer

Titel: Feuereifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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murmelte er.
    »Oh, Schätzchen, du hast eine viel zu schwere Last mit dir herumgetragen. Du hast dich doch nicht vergessen - du hast dich nur sicher genug gefühlt, mir anzuvertrauen, wie schlimm alles gewesen ist.«
    »Meinen Sie das ernst?« Er sah mich prüfend an. »In meiner Familie findet es niemand gut, wenn man weint, nicht mal meine Großmutter.«
    »In meiner Familie glauben alle, dass man sich nicht in Selbstmitleid suhlen soll, sondern handeln - aber wir glauben auch, dass man das manchmal erst tun kann, wenn man sich gründlich ausgeweint hat.« Ich legte den Arm um Billy und drückte ihn kurz. »Pass gut auf Josie und Coach McFarlane auf. Und auf dich selbst. Ich komme so schnell wie möglich zurück.«
    Es hatte aufgeklart. Als ich ins Auto stieg, konnte ich im Norden den Großen Wagen sehen, und der Mond war fast voll. Gut und schlecht zugleich: Ich würde ohne Licht auskommen auf dem Fabrikgelände, konnte aber auch leichter entdeckt werden. Ich checkte meine Taschenlampe. Die Batterien waren noch voll, und ich hatte ein Ersatzpaar im Handschuhfach, das ich in meiner Manteltasche verstaute. Dann sah ich nach, ob ich ein zweites Magazin für die Smith & Wesson dabeihatte, und fuhr los, nach Norden, Richtung Lake Shore Drive und meiner Wohnung. Das Handy ließ ich an. An der 71st Street schaltete ich es aus, bog nach Westen ab und kutschierte herum, bis ich sicher war, dass mir niemand folgte. Dann fuhr ich Richtung Süden, zu Fly the Flag. Ich parkte wieder an der Yates und legte den Rest des Wegs zu Fuß zurück. Die Böschung der Autobahnbrücke ragte vor mir auf; die Natriumlampen strahlten nach oben, gaben aber wenig Licht nach unten ab. Die meisten Laternen hier in der Gegend waren kaputt, doch der Mond erhellte die Straßen mit seinem kalten silbrigen Licht, das die alten Fabriken an der South Chicago Avenue wie Gebäude aus Marmor wirken ließ. Mein Schatten, langgezogen wie ein Kaugummimännchen mit knubbligen Gelenken, waberte die Straße entlang.
    Es war still, aber nicht auf die ruhige, friedliche Art wie auf dem Land - hier schlichen im Schutz der Dunkelheit die Aasgeier der Stadt umher: Ratten, Drogensüchtige, Schläger, alle begierig nach Beute. Ein Stadtbus kam mühsam herangewalzt. Aus der Ferne erinnerte er an ein Bild aus einem Kinderbuch: Die Fenster verströmten warmes Licht, und die Scheinwerfer unter der breiten Windschutzscheibe sahen wie ein grinsender Mund aus. Steig ein, mit mir kannst du warm und behaglich nach Hause fahren.
    Ich überquerte die Straße und betrat das Fabrikgelände. Seit dem Feuer war über eine Woche vergangen, doch der Geruch nach Verbranntem hing immer noch ein wenig in der Luft, wie ein flüchtiges Parfüm.
    Obwohl der Verkehrslärm von der Brücke so laut war, dass man mich wohl kaum hören konnte, lief ich neben dem Schotterweg entlang, um kein Knirschen zu erzeugen, und ging zur Ladezone.
    Ich sah auf den ersten Blick, was mit Bron passiert war. Als er die Vorderseite des Gabelstaplers über die Rampe auf den Laster geschoben hatte, um seine schwere Last abzuladen, war Grobian losgefahren, und der Gabelstapler war von der Rampe gestürzt. Die Eisenstreben hatten sich in den Boden gebohrt, und die Kisten waren überall verstreut. Bron hatte sich wohl bei dem Sturz das Genick gebrochen; es grenzte an ein Wunder, dass Marcena überlebt hatte.
    Ich leuchtete auf dem Boden herum. Sherlock Holmes hätte gewiss das geknickte Unkraut oder den falsch platzierten Steinbrocken entdeckt, um daraus schließen zu können, ob Marcena in dem Gabelstapler saß, als er abstürzte, oder nicht. Ich konnte lediglich mutmaßen, dass sie durch ihre Aufenthalte in Kriegsgebieten einen siebten Sinn für Gefahr entwickelt hatte und rechtzeitig abgesprungen war.
    Ich stieg über die Kisten zu dem Gabelstapler hinüber und spähte darunter, entdeckte Marcenas roten Füller aber nirgendwo. Vielleicht lag er unter dem vorderen Teil des Fahrzeugs, aber diese Suche sparte ich mir für zuletzt auf - das Gefährt hier konnte man nur mit einem Abschleppwagen aufrichten.
    Ich durchstreifte in Kreisen das Gelände, beäugte Unkraut und Schotter. Da diese Seite des Gebäudes vom Feuer nicht betroffen war, hatte ich kein Problem mit Glassplittern und verkohlten Stoffresten, auf die ich bei meiner Suche letzte Woche überall gestoßen war, aber es gab immer noch mehr als genug Müll - Strandgut der Stadt, das entweder von der Brücke heruntergeworfen oder von der Straße aus hier

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