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Feuerflügel: Roman (German Edition)

Feuerflügel: Roman (German Edition)

Titel: Feuerflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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Er spitzte die Ohren und horchte auf das Sirren von Insektenflügeln, während er durch den Wald segelte.
    Merkwürdig, dass er hier keine andere Art von Tieren gesehen hatte. Nachts war er daran gewöhnt, Rehe zu entdecken, Flughörnchen und Taschenmäuse, manchmal sogar einen Bären, der durchs Unterholz schlenderte, oder einen Elch, der leise zwischen den Bäumen hindurchschritt. Hier war der Waldboden völlig verlassen.
    Ein Insekt flog ihm vor der Nase hoch, sah so aus wie eine Art Spinne mit Flügeln, nichts, was er schon jemals gesehen hatte. Er schaltete um auf sein Echo-Sehen und richtete es auf das Insekt aus. Es war nicht allzu schnell, er kam rasch heran und schlug es mit dem Flügel ins offene Maul. Etwas beklommen biss er auf das Insekt und ...
    Da war nichts. Er riss die Augen auf und blickte sich verwirrt um, schickte auch ein Klanggewitter aus. Vielleicht war das Insekt ja entwischt. Aber da war keine Spur mehr von ihm. Er hatte es mit dem Flügel gespürt, dann im Maul ...
    Erneut versuchte er es. Dieses Mal zielte er auf eine komisch aussehende Motte, überholte sie und drehte sie mit mühevoller Sorgfalt von der linken Flügelspitze ins Maul. Er spürte den hauchdünnen Stoff ihrer Flügel auf seiner Haut, dann schloss er die Kiefer. Es gab einen schnellen Lichtblitz, einen schwachen Knacklaut und das Insekt schmolz weg. Verschwunden.
    Keuchend versuchte Greif zu landen, verfehlte den Ast bei der ersten Annährung und stürzte beinahe zu Boden. Beim zweiten Mal packte er zitternd die Borke.
    Die Insekten existierten gar nicht wirklich.
    Sie waren nur kleine Einheiten aus Klang und Licht. Was sonst war hier noch unwirklich? Was war mit diesen geruchlosen Bäumen? Seine Blicke schossen ängstlich über den Ast, betrachteten die Blätter. Es gab Knospen, die sich gerade öffneten, Blätter, die voll ausgewachsen waren, und einige harte, zusammengerollte tote Blätter, die noch an ihren Zweigen hingen. Hier herrschten Frühling, Sommer und Herbst gleichzeitig. Das war nicht normal. Dieser Ort war nicht normal! Dann sah er sie.
    Vielleicht lag es an ihrem charakteristischen aufwärts gerichteten Flügelschlag oder an dem schlanken Profil, wenn sie vorbeischoss – jedenfalls erkannte er sie. „Luna!“, rief er ihr zu.
    Sie warf ihm einen raschen Blick über die Schulter zu, dann kam sie zurück, um ihn genauer zu betrachten. Als sie sich näherte, hüpfte sein Herz. Sie war es eindeutig, keine Frage! Sie ließ sich an der Spitze seines Astes nieder und starrte ihn überrascht an.
    „Wie bist du denn hierher gekommen?“, rief Greif. Die Worte purzelten nur so aus ihm heraus vor reinster, Schwindel erregender Freude. „Das ist hier vielleicht komisch, Luna! Hast du die Bäume und das Laub gesehen – und die Insekten? Grotesk! Diese riesigen dornigen Insekten, die man nicht einmal fressen kann! Und die anderen Fledermäuse hier, hast du schon mit einer von ihnen gesprochen? Sie sind, gelinde gesagt, irgendwie ungewöhnlich. Sie sagen mir dauernd, ich leuchte!“
    „Das tust du“, antwortete sie.
    „Oh.“ Er war verblüfft. „Du kannst es auch sehen? Denn ich kann es nicht, weißt du. Ich kann überhaupt nichts leuchten sehen.“
    „Es ist, als ob du Sternenlicht in deinem Fell gefangen hättest.“
    Er wartete, bis er wieder zu Atem gekommen war, und bemerkte die glänzenden Flecken Narbengewebe auf ihren Flügeln. Ihr Fell jedoch sah nicht allzu schlimm aus, obwohl es noch ein paar verbrannte Stellen gab. Er konnte kaum glauben, wie schnell alles verheilt war. Diese ganzen Tinkturen, die die Ältesten hatten, mussten erstaunlich wirkungsvoll sein.
    „Dir geht es viel besser“, sagte er, überwältigt von Dankbarkeit und Erleichterung. „Alle haben sich deinetwegen richtig Sorgen gemacht. Mami hat gesagt, sie fürchteten, du könntest sterben.“
    „Wovon redest du?“, fragte Luna stirnrunzelnd.
    Er musste blinzeln. Vielleicht hatte ihr ja niemand gesagt, wie schwer verletzt sie gewesen war. Das wäre vernünftig, nahm er an. Es war sinnlos, sie zu ängstigen, wenn sie Ruhe und Erholung brauchte.
    „Nun“, meinte er, „mir tut alles wirklich Leid. Weißt du, alles ist einfach passiert, bevor ich auch nur nachdenken konnte. Ich habe einfach ...“
    Ihr Ausdruck völliger Verwirrung ließ ihn innehalten. Sie hatte offenbar keine Ahnung, wovon er redete. Hatte der Unfall die Erinnerung ausgelöscht oder so etwas? Für eine Sekunde war er beinahe froh deswegen. Wenigstens würde sie sich

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