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Feuerflügel: Roman (German Edition)

Feuerflügel: Roman (German Edition)

Titel: Feuerflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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kreiste und achtete darauf, nicht zu nahe heranzukommen an diese ältere Fledermaus, bei der er nach Anzeichen von sich selber suchte. Er hatte sein eigenes Spiegelbild im Bach gesehen, in Wassertropfen, und hatte daher eine unbestimmte Vorstellung, wie er aussah. Aber er war sich nicht sicher, dass er eine Andeutung davon in dieser anderen Fledermaus entdeckte – oder in diesem Trugbild, er war sich noch nicht sicher, was von beiden es war.
    „Ich hatte gedacht, Schatten wäre größer“, sagte Greif misstrauisch. Er wusste, sein Vater war ein Knirps, aber in seiner Fantasie war er immer eine gewaltige Erscheinung gewesen, fast ein Riese. Diese Fledermaus vor ihm konnte irgendjemand sein.
    „Nein, dies ist die richtige Größe für mich“, sagte der ältere Silberflügel kichernd.
    „Beweise, dass du es bist!“, verlangte Greif.
    „Wer sonst würde hier herunterkommen, um dich zu retten!“
    „Es gibt ein paar ziemlich geheimnisvolle Sachen hier unten“, beharrte Greif. „Wenn du es wirklich bist, wirst du alles über Schatten wissen.“
    „In Ordnung. Dann frage mich etwas!“
    „Okay, lass mich nachdenken. In der Menschenstadt ist Schatten von Tauben gejagt worden. Wie viele Tauben waren da?“
    „Es waren ... hm, sechs, glaube ich.“
    „Ich habe gehört, es wären neun gewesen!“
    „Nun, es ist vor langer Zeit passiert, aber ich bin mir ziemlich sicher, es waren nur sechs.“
    „Alle anderen Jungtiere haben gesagt, es waren neun“, insistierte Greif hartnäckig.
    „Ich war dort!“
    „Warst du das?“, meinte Greif. „Wie wär’s hiermit: Im südlichen Dschungel, was war die erste Sorte Geschöpf, mit der Schatten gekämpft hat?“
    „Würdest du bitte aufhören, von mir zu reden, als wäre ich nicht da!“
    „Du kennst also die Antwort nicht?“, fragte Greif.
    „Ein Rieseninsekt, fast dreißig Zentimeter lang, mit zackigen Zangen.“
    „Okay, das stimmt“, bestätigte Greif. „Diese Antwort rechne ich. Aber wie viele Insekten waren es?“
    „Nur eins.“
    „Falsch! Es waren fünf! Und Schatten hat alle mit Chinooks Hilfe getötet.“
    „Nein. Es war nur eins“, entgegnete die andere Fledermaus mit einem Seufzer.
    „Wenn du Schatten bist, wie kommt es, dass du das nicht weißt? Ich weiß es doch. Ich kenne alle die Geschichten – sie sind praktisch das Einzige, worüber die Jungtiere reden. Schatten hier, Schatten dort.“
    „Und eigentlich hat Chinook das Insekt getötet, nicht ich. Diese Geschichten werden übertrieben.“
    „Sag mir, wie Schatten Marina kennen gelernt hat“, forderte Greif hartnäckig.
    „Und ich habe immer gedacht, ich wäre misstrauisch!“
    „Hier unten kannst du nicht vorsichtig genug sein“, sagte Greif. „Komm schon.“
    „Ich habe sie auf einer Insel getroffen, nachdem ich im Sturm aufs Meer hinausgetrieben worden war. Deine Mami hing direkt neben mir an einem Ast, ganz in ihre Flügel eingehüllt, und ich habe sie nicht einmal bemerkt, weil sie genauso aussah wie ein helles Herbstblatt.“
    Greif musste lächeln. „Das stimmt.“ Er runzelte die Stirn. „Aber jeder könnte diese Geschichte kennen.“ „Greif!“
    „Letzte Frage. Wie hättest du mich genannt, wenn ich ein Weibchen geworden wäre?“
    „Nun, ich wollte dich Aurora nennen ...“
    Greif wurde starr.
    „... aber deine Mutter hatte sich auf Celeste versteift. Also wäre es Celeste gewesen.“
    Greif spürte, wie sich sein ganzer Körper entspannte. Vorsichtig näherte er sich, und zum ersten Mal, seit er an diesen Ort gekommen war, füllten sich seine Nüstern mit dem Geruch eines anderen Lebewesens. Sein Herz schlug so schnell, dass ihm das Atmen schwer fiel. Er packte seinen Vater mitten in der Luft und nur für einen Augenblick vergrub er sein Gesicht in seinem Nackenfell.
    Es war der Familiengeruch, sein eigener Geruch. Eine wunderbare Wärme – nicht die schreckliche durchdringende Kälte der Toten – liebkoste ihn, und dahinter fühlte er den kräftigen Herzschlag seines Vaters, und er fühlte, wie ihm dessen Flügel über die Schulter gelegt wurde, und er dachte: Ja. Daheim. Er wollte nicht loslassen. Er weinte vor Erleichterung und Glück. Er war in Sicherheit. Sein Vater war da. Der Held Schatten Silberflügel. Nichts mehr konnte ihm etwas anhaben.
    „Oh“, sagte er. „Das tut gut. Das tut wirklich, wirklich gut!“
    „Ich hatte mir Sorgen gemacht, dass ich dich nicht finden würde“, sagte sein Vater. „Dass ich dich nicht erkennen würde.“
    Sie fanden

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