Feuerflut
daß sie dieses Kind sehr liebten. Um sich in diesem Land an Schlange zu wenden, dafür mußten sie es sehr lieben.
Es war Abend, und es kühlte ab. Träge glitt Sand aus der Schachtel, bewegte den Kopf, bewegte die Zunge, roch, schmeckte, gewahrte die Wärme von Körpern. „Ist das …?“ Die Stimme des älteren Ehemannes klang leise und klug, aber auch furchtsam, und Sand spürte die Furcht. Er zog sich in Bißstellung zurück und ließ verhalten seine Klapper ertönen. Schlange sprach ihn an und streckte ihren Arm aus. Die Grubenotter entspannte sich und schlang sich wieder und wieder um ihr schlankes Handgelenk, bildete schwarze und lohfarbene Armreifen.
„Nein“, sagte sie. „Euer Kind ist zu krank, Sand kann ihm nicht helfen. Ich weiß, daß es schwer ist, aber bitte versucht ruhig zu bleiben. Dies ist eine furchtbare Sache für euch, aber sie ist das einzige, das ich tun kann.“
Sie mußte Dunst aufscheuchen, um sie herauszulocken. Schlange klopfte auf die Schachtel und schubste sie schließlich zweimal. Dann spürte Schlange das Scharren und Gleiten von Schuppen, und plötzlich warf die Albinokobra sich ins Zelt. Sie kroch schnell, doch sie schien kein Ende zu besitzen. Sie krümmte sich und bäumte sich empor. Ihr Atem entwich mit einem Zischen. Ihr Kopf erhob sich um einen guten Meter über den Boden. Sie blähte ihre weite Kapuze. Hinter ihr keuchten die Erwachsenen auf, als fühlten sie sich durch den Blick der auffälligen, braunen Zeichnung auf dem Rücken der Kapuze körperlich angegriffen. Schlange beachtete die Leute nicht und wandte sich mit Singsangstimme an die große Kobra. „Ach, Sie! Zorniges Geschöpf. Sie lege sich hin. Diesmal muß Sie sich ihr Spanferkel verdienen. Spreche Sie zu diesem Kind, berühre Sie’s! Es heißt Stavin.“ Langsam ließ Dunst ihre Kapuze schrumpfen und duldete es, daß Schlange sie berührte. Schlange ergriff sie fest hinter dem Kopf und hielt ihn in Stavins Richtung. Die silbernen Augen der Kobra fingen das Gelb des Lampenscheins ein. „Stavin“, sagte Schlange, „Dunst braucht dich jetzt nur kennenzulernen. Ich verspreche dir, daß sie dir jetzt keinen Schmerz zufügt.“
Trotzdem zitterte Stavin, als Dunst seine dünne Brust berührte. Schlange gab den Kopf der Kobra nicht frei, ließ jedoch ihren Körper an dem des Jungen entlanggleiten. Sie wand sich in Krümmungen aus purem Weiß über Stavins geschwollenen Unterleib, streckte sich, drängte ihren Kopf hinauf zum Gesicht des Jungen, stemmte sich gegen Schlanges Hände. Die Kobra war viermal länger, als Stavins Körpergröße betrug. Dunst begegnete Stavins furchterfülltem Blick mit dem Starren lidloser Augen. Schlange ließ sie ein wenig näher hinzu. Dunst züngelte, um das Kind zu betasten.
Der jüngere Ehemann stieß einen leisen, erstickten Laut der Furcht aus. Stavin zuckte daraufhin zusammen, und Dunst wich zurück, öffnete ihr Maul, entblößte die Fangzähne und fauchte vernehmlich den Atem aus dem Rachen. Schlange kauerte sich auf die Fersen und entließ den eigenen Atem. An anderen Orten konnten die Verwandten manchmal ihrer Tätigkeit beiwohnen. „Ihr müßt gehen“, sagte sie leise. „Es ist gefährlich, Dunst zu erschrecken.“
„Ich werde nicht …“
„Ich bedaure es, aber ihr müßt draußen warten.“ Der jüngere Ehemann hätte vielleicht die üblichen unhaltbaren Einwände erhoben und die beantwortbaren Fragen gestellt, vielleicht auch die Frau, aber der ältere Mann drehte sich zum Ausgang, nahm ihre Hände und führte sie hinaus. „Ich benötige ein kleines Tier“, sagte Schlange, als der Mann die Zeltklappe hob. „Es muß Fell haben, und ich brauche es lebend.“
„Wir werden eins finden“, sagte er, und die drei Eltern traten hinaus in den düsteren Abend. Schlange konnte von draußen ihre Schritte im Sand hören.
Schlange zog die Kobra in ihren Schoß und beruhigte sie. Die Kobra wand sich um Schlanges schmale Hüften und genoß ihre Wärme. Hunger machte sie noch gereizter als gewöhnlich, und sie war hungrig, genau wie Schlange. Auf dem Weg durch den schwarzen Sand der Wüste hatten sie genug Wasser entdeckt, aber Schlanges Fallen waren leer geblieben. Es war Sommer, heißes Wetter herrschte, und viele der pelzigen Leckerbissen, die Dunst und Sand bevorzugten, hielten ihren Sommerschlaf. Wenn es den Schlangen an regelmäßigen Mahlzeiten mangelte, begann Schlange ebenfalls zu fasten.
Betrübt sah sie, daß Stavin sich nun mehr fürchtete. „Es tut mir
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