Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
Vom Netzwerk:
fortdrängte.
    Schlange atmete, atmete nochmals, hielt ein, dann wiederholte sie den Vorgang, bis Dunst den Rhythmus übernahm und ohne Unterstützung weiteratmete.
    Schlange kauerte sich zurück auf die Fersen. „Ich glaube, sie schafft es“, sagte sie. „Ich hoffe, daß sie es durchsteht.“ Sie strich sich mit dem Handrücken über die Stirn. Die Berührung erzeugte Schmerz; ihre Hand zuckte herab, Schmerz durchlief ihre Knochen, den Arm hinauf, in die Schulter, durch den Brustkorb, umkrallte ihr Herz. Ihr Gleichgewicht verschwand. Sie fiel, versuchte sich aufzufangen, bewegte sich jedoch zu langsam, sie wehrte sich gegen Übelkeit und Schwindel und errang fast die Oberhand, bis die Anziehungskraft der Erde sich plötzlich in Schmerz auflöste und sie in Finsternis verloren war, fern von jedem Halt.
    Sie spürte Sand, wo er ihre Wange und ihre Handflächen kratzte, aber er war weich. „Schlange, kann ich loslassen?“ Sie dachte, die Frage müsse an jemand anders gerichtet sein, obwohl sie zugleich wußte, daß hier kein anderer war, um sie zu beantworten, niemand, der auf ihren Namen ansprach. Sie fühlte die Berührung von Händen, und sie waren behutsam; sie wollte darauf reagieren, aber sie war zu müde. Den Schlaf benötigte sie mehr, und deshalb schob sie sie fort. Aber sie hielten ihren Kopf und setzten trockenes Leder an ihre Lippen, flößten ihr Wasser in die Kehle. Sie hustete und würgte und spie es aus. Sie erhob sich auf einen Ellbogen. Als ihr Blickfeld sich klärte, bemerkte sie, daß sie zitterte. Ihr war zumute wie nach ihrem ersten Schlangenbiß, bevor ihre Immunitäten sich völlig entwickelt hatten. Der junge Mann kniete über ihr, in der Hand seine Feldflasche. Hinter ihm kroch Dunst davon in die Dunkelheit. Schlange vergaß das Pochen des Schmerzes. „Dunst!“
    Der junge Mann schrak auf und fuhr entsetzt herum; die Schlange bäumte sich empor, fast so hoch wie Schlange groß war, wenn sie aufrecht stand, ihre Kapuze blähte sich, sie schaukelte, beobachtete wuterfüllt, bereit zum Biß. Sie bildete einen ruhelosen weißen Strich gegen das Schwarz. Schlange zwang sich zum Aufstehen, wobei sie sich fühlte, als versuche sie sich mit der Beherrschung eines wildfremden Körpers. Beinahe stürzte sie wieder, konnte jedoch das Gleichgewicht bewahren. „Sie darf jetzt nicht zur Jagd ausgehen“, sagte sie. „Hier gibt es Arbeit für Sie.“ Schlange streckte die rechte Hand aus, als Köder, falls Dunst zubiß. In der Hand wütete dumpfer Schmerz. Schlange fürchtete keinen Biß, sondern den Verlust des Inhalts der Giftsäcke. „Komme Sie her“, sagte sie zu Dunst. „Komme Sie her und fasse Sie sich.“ Sie bemerkte, daß Blut durch ihre Finger sickerte, und empfand die Furcht um Stavin mit erhöhter Stärke. „Hat Sie mich gebissen, Kreatur?“ Aber es war nicht der richtige Schmerz; Gift hätte sie gelähmt, und das neue Serum würde nur brennen …
    „Nein“, flüsterte hinter ihr der junge Mann.
    Dunst stieß zu. Die Reflexe einer langen Ausbildung griffen ein; Schlanges Rechte ruckte weg, ihre Linke packte Dunst, als sie den Kopf zurückzog. Die Kobra wand sich für einen Moment und erschlaffte dann. „Sie altes Vieh“, sagte Schlange. „Schande über Sie.“ Während sie sich umdrehte, gestattete sie es Dunst, ihren Arm hinauf und auf ihre Schulter zu kriechen, wo sie sich wie der Umriß eines unsichtbaren Umhangs anschmiegte und den Schwanz wie den Zipfel einer Schleppe schleifen ließ. „Sie hat mich nicht gebissen?“
    „Nein“, wiederholte der junge Mann. Seine beherrschte Stimme konnte die Ehrfurcht nicht ganz verhehlen. „Du müßtest im Sterben liegen. Du müßtest dich vor Schmerzen krümmen, dein Arm müßte blaurot angeschwollen sein. Als du zurückgekommen bist …“ Er wies auf ihre Hand. „Es muß eine Buschotter gewesen sein.“
    Schlange erinnerte sich an das Nest von Reptilien unter den Zweigen und berührte das Blut an ihrer Hand. Sie wischte es ab und entdeckte zwischen den von Dornen verursachten Kratzern die zweifache Wunde eines Schlangenbisses. Die Wunde war leicht geschwollen. „Ich muß den Biß säubern“, sagte sie. „Ich schäme mich, weil ich mich habe erwischen lassen.“ Der Schmerz drängte in schwachen Wellen in ihren Arm, toste nicht länger. Sie stand und schaute den jungen Mann an, schaute rundum, sah die Landschaft wanken und schwanken, während ihre müden Augen das kärgliche Licht des Mondes, der sank, und einer unechten

Weitere Kostenlose Bücher