Feuerflut
abwehrend beisammen. Für einen Moment glaubte Schlange, sie hätten beschlossen, sie fortzuschicken. Dann fragte sie – mit Kummer und Furcht wie heißes Eisen in ihrem Mund –, ob Stavin gestorben sei. Sie schüttelten die Köpfe und ließen sie eintreten.
Stavin lag noch so, wie sie ihn verlassen hatte, und schlief. Die Erwachsenen folgten ihr mit ihren unablässigen Blicken, und sie konnte Furcht riechen. Dunst züngelte; die Möglichkeit einer Gefahr versetzte sie in große Unruhe. „Ich wußte, ihr würdet bleiben“, sagte Schlange. „Ich weiß auch, daß ihr mir helfen würdet, aber es kann niemand etwas tun außer mir. Bitte geht wieder hinaus.“
Sie sahen einander an und dann Arevin, und einen Moment lang glaubte sie, daß es zu einer Weigerung käme. Schlange wäre am liebsten im Schweigen versunken und eingeschlafen. „Kommt, Vettern“, sagte Arevin. „Wir sind in ihrer Hand.“ Er schlug die Zeltklappe zur Seite und winkte sie hinaus. Schlange dankte ihm nur durch einen Blick, und fast schien es, als neige er zu einem Lächeln.
Sie wandte sich Stavin zu, kniete sich neben ihn. „Stavin …“ Sie berührte seine Stirn; sie war sehr heiß. Ihre Hand, so bemerkte sie, war weniger sicher als noch vorhin. Die leichte Berührung weckte das Kind. „Es ist soweit“, sagte Schlange.
Er blinzelte, löste sich aus einem kindlichen Traum, sah sie, erkannte sie langsam. Er wirkte nicht furchtsam. Schlange war froh darüber; aus einem anderen Anlaß jedoch, den sie nicht begriff, empfand sie Unbehagen. „Tut es weh?“
„Hast du im Moment Schmerzen?“
Er zögerte, blickte weg, sah sie wieder an. „Ja.“
„Vielleicht schmerzt es noch ein bißchen mehr. Ich hoffe, es kommt nicht so. Bist du bereit?“
„Kann Gras bei mir bleiben?“
„Natürlich“, sagte sie. Und erkannte, was nicht stimmte. „Ich bin sogleich wieder hier.“ Ihre Stimme veränderte sich so auffällig, klang plötzlich so gepreßt, daß das Kind sich unvermeidlich ängstigte. Sie verließ das Zelt, ging langsam, ruhig, bot alle Beherrschung auf. Die Eltern, die draußen standen, bezeugten ihre Furcht mit ihren Mienen. „Wo ist Gras?“ Arevin, der ihr den Rücken zukehrte, fuhr beim Tonfall ihrer Stimme herum. Der jüngere Ehemann stieß einen leisen Klagelaut aus und vermochte sie nicht länger anzusehen.
„Wir hatten Furcht“, sagte der ältere Ehemann. „Wir dachten, das Tier würde das Kind beißen.“
„Ich dachte es. Ich habe es getan. Die Schlange kroch über sein Gesicht, ich konnte ihre Zähne sehen …“ Die Frau legte ihre Hände auf die Schultern ihres jüngeren Ehemanns und sprach nicht weiter.
„Wo ist er?“ Sie wollte schreien; sie tat es nicht.
Sie brachten ihr eine kleine offene Kiste. Schlange nahm sie und blickte hinein. Gras lag darin, nahezu zertrennt, die Eingeweide waren aus dem zerschmetterten Leib gequollen; er lag halb auf dem Rücken, und während sie zitterte und in die Kiste starrte, wand er sich einmal und ließ die Zunge einmal hinaus- und hineingleiten. Schlange gab einen Laut von sich, der zu tief in ihrer Kehle entstand, um ein Schluchzen werden zu können. Sie hoffte, daß es sich nur um Reflexbewegungen handelte, aber sie hob ihn so behutsam auf wie möglich. Sie senkte den Kopf und schloß ihre Lippen um die glatten grünen Schuppen hinter seinem Kopf. An der Schädelbasis biß sie einmal schnell und fest zu. Sein Blut rann kühl und salzig in ihren Mund. Falls er nicht tot gewesen war, hatte sie ihn augenblicklich getötet.
Sie sah die Eltern und Arevin an; sie alle waren blaß, aber ihre Furcht fand nicht Schlanges Mitgefühl, und sie machte sich nichts aus Anteilnahme am Kummer. „Ein so kleines Geschöpf“, sagte sie. „Ein so kleines Geschöpf, das nur Freude und Träume geben konnte.“ Ihr Blick ruhte noch für einen Moment auf ihnen, dann wandte sie sich wieder dem Zelt zu.
„Warte …“ Sie hörte den älteren Ehemann dichtauf folgen. Er faßte sie an der Schulter; sie streifte seine Hand ab. „Wir geben dir alles, was du willst“, sagte er, „aber laß das Kind in Ruhe.“
Wutentbrannt fuhr sie herum. „Soll ich Stavin wegen eurer Dummheit sterben lassen?“ Er erweckte den Eindruck, als wolle er sie zurückzuhalten versuchen. Sie rammte ihm ihre Schulter hart in den Magen und warf sich durch die Zeltklappe. Drinnen kippte sie mit einem Tritt die Schachtel um. Sand kroch heraus, roh geweckt und erbost, und rollte sich zusammen. Als der jüngere Ehemann
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