Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
Vom Netzwerk:
werden und in den weiten, wundervollen Ozean hinauszuschwimmen. Mein Gefährte würde kommen, mit unserem ganzen Volk, und wir würden singen und springen, uns paaren und meine Freiheit feiern. Aber ich kann nicht rufen, ich kann nicht singen. Es gibt keine Freiheit und keine Freudenfeier.
    Und mein Gefährte wird mich niemals finden; er wird warten und die Gegend um das Menschengebäude absuchen, wo sie mich gefangenhielten. Niemand konnte wissen, daß die Menschen mich in nasses, stinkendes Zeug wickelten (ich dachte, sie versuchten, meine Haut zu bedecken, so wie sie versuchen, ihre eigene zu bedecken), mich in eine Kiste legten und die Kiste in eines ihrer metallenen Geschöpfe schoben. (Die Menschen haben einen schrecklichen Drang, Dinge in Dinge zu stecken, um so die unvermeidlichen Zufälligkeiten des Lebens zu überwinden. Unser Volk weiß es besser). Das Metallgeschöpf stieg in die Luft und brachte mich aus dem Mittleren Ozean in den Großen Ozean, und hier bin ich jetzt. Ich schwimme der Bahn der Sonne nach, um das Land des Sonnenuntergangs zu erreichen. Wenn ich dort bin, werde ich sterben.
    Die Schnitte, die die Menschen mir zugefügt haben, schmerzen mich nicht mehr. Sie sind verheilt, aber ich kann die Narben noch fühlen. Das Gewicht des Metalls in meinem Innern stört mein Gleichgewicht. Sie können nicht verstehen, wie sehr es mich schmerzt, daß ich nicht mehr spielen kann. Ich kann nicht singen, ich kann nicht springen. Ich glaube, die Menschen haben überhaupt keine Kunst.
    Ich höre das schwache Schwingen vom Gesang eines Wals, beinahe erstickt vom rauhen Kreischen der Rasseln der menschlichen Wassermaschinen. Das Lied ist schwindend und verzerrt; vielleicht ist es über den halben Ozean hinweg bis hierher gedrungen. Als Information ist es nutzlos, aber es gibt mir die Illusion, daß jemand bei mir ist. In den nächsten paar Stunden, immer wenn die Kakophonie zu schmerzhaft wird oder das eintönige Geräusch meines Navigationsgerätes mich so sehr langweilt, daß ich unaufmerksam werde, werde ich die leisen, langgezogenen Töne des Liedes, das der Große singt, suchen und finden können. Es hat einmal Zeiten gegeben, da wäre die Geschichte, die es erzählte, um die halbe Welt gedrungen.
    Wenn die Großen nicht vom Geschmack der See singen, dann singen sie von ihren Geräuschen. Vor hundert Jahren konnte ein Lied, das um Mitternacht gesungen wurde, am hellichten Tag irgendwo ankommen, obgleich in der Zeit, in der es einen so langen Weg zurücklegte, sein Bestimmungsort im Dunkel und sein Ursprung im Tageslicht liegen würde. Die natürlichen Laute des Meeres waren kein Hindernis für die Lieder; sie schlüpften durch den Chor der grunzenden und blubbernden Töne, durch Plätschern und Rufen, selbst durch das Geschnatter der kleineren Leute, meiner eigenen Art. Die Wale waren nie voneinander getrennt, ganz gleich wie weit sie voneinander entfernt waren. Jetzt sind sie einsame Einzelgänger, die nicht lernen können, sich zu fürchten.
    Ich schwimme, ich schwimme. Das Signal der Menschen läßt mir keine Ruhe. Es gibt einen Plan. Pläne sind für Menschen und Maschinen, nicht für Leute. Aber jetzt bin ich eine Maschine, kaum mehr. Was ist eine Maschine anderes als ein Geschöpf ohne Willen?
    Die Maschine in mir ist kalt.
    Wenn ich mein Volk finden könnte, könnte ich ihm sagen – auch ohne Stimme, ich könnte es mit Blicken und Bewegungen sagen –, daß es mich aufhalten soll. Vielleicht, wenn sie mich lange genug festhielten, würden die Menschen mich aufgeben.
    Vielleicht müßte ich dann immer noch sterben … aber die Menschen werden mich mit der Maschine töten, wenn ich am Ziel meiner Reise angekommen bin. Nichts würde sie davon abhalten, mich zu vernichten, wenn ich die Mission nicht erfüllen könnte. Es wäre sicherer für die Menschen, mich zu vernichten, denn sie würden denken, ich wäre ihren Feinden in die Hände gefallen. Wenn meine Leute mich aufhielten und die Maschine explodierte, dann würde ich nicht allein sterben. Ich darf also nicht mehr darauf hoffen, daß ich jemanden finde, der mir hilft.
    Ich höre das leise Grollen eines Mörderwals. Dieser Laut ist beinahe das einzige, wovor wir uns jemals gefürchtet haben. Aber er ist nicht auf der Jagd, er treibt einfach ruhig im mitternächtlichen Meer. Er muß wissen, daß ich hier bin, aber er ist nicht hungrig. Die Menschen nennen ihn Mörderwal, aber Menschenfleisch schmeckt seiner Art nicht, sondern nur das des Kleinen

Weitere Kostenlose Bücher