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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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tun?“
    „Ich werde zum Schiff zurückgehen.“
    „Das ist gut.“
    „Vielleicht gelingt es mir, einige zu überreden, mit mir zurückzukehren.“
    Sie dachte daran, wie einsam er sein würde, wenn sie ihn zurückwiesen und er dennoch zurückkehrte, aber sie sprach es nicht aus. „Ich achte deine Entscheidung.“
    Sie stieg höher, bis die Luft merklich dünner wurde, aber sie konnte nicht hoch genug fliegen, um die kosmische Strahlung gegen ihre Netzhaut prallen zu lassen. Sie fand Trost im klaren Himmel und im Fliegen und faßte einen der Schleier. Danach schob ihr Gefährte die andern unter die Reifen, und vorsorglich blieb er nahe bei ihr. Sie fühlte die Kälte in sich eindringen; die Schleier schwebten um sie herum wie Schnee. „Lebe wohl, Geliebter“, sagte sie. „Trauere nicht um mich.“
    Ihre Sinne trübten sich; sie konnte ihn kaum hören. „Ich fühle kein Bedauern, aber ich werde trauern.“
    Die Alte streckte ihre starr werdenden Schwingen aus und flog davon.
     
    Er folgte ihr, bis er wußte, daß sie tot war, dann ließ er sich zurückfallen. Sie würde weiterfliegen, bis zu einem geheimen Grab; er wollte sie in Erinnerung behalten, wie sie an diesem Tage gewesen war.
    Er glitt allein über die Wüste hin und durch die tückischen Strömungen an den Berghängen; er prägte sich das Bild dieser Welt ein, so daß er ihre Schönheiten würde beschreiben können. Im Morgengrauen kehrte er zu seinem Boot zurück. Eine Brise wehte winzige Kristalle gegen seine Knöchel.
    Er fiel auf die Knie und grub die Finger in den glänzenden, wärmer werdenden Sand. Er nahm eine Handvoll davon auf, wickelte sie in den letzten der silbernen Totenschleier und nahm sie mit sich, als er abflog.

 
Der Anfang vom Ende
     
    In meiner langen Gefangenschaft habe ich gelernt, die Rede der Menschen nachzuahmen, nicht aber, die Gedanken dahinter zu verstehen. Wie könnte jemand lernen, die zu verstehen, die ihr Leben damit zubringen, eine so verzweifelte Unabhängigkeit zu suchen? Sie haben mich zwar gezwungen, so zu werden wie sie, aber ich verstehe sie dennoch nicht. Ich müßte wahnsinnig sein, mich nach solcher Einsamkeit zu sehnen, und noch bin ich nicht wahnsinnig.
    Sie haben mich stumm gemacht und fast blind. Sie haben mir meine Augen gelassen, aber meine Augen sind weniger als nutzlos in dieser kalten, dunklen, schweren See. Ich kann noch schmecken und riechen. Viele verschiedene Partikel treiben in den sanften, salzigen Aromen, die die Evolution umschließen: scharfe Kieselalgen, hell funkelnde, eßbare Krustazeen (so willkommen nach vielen Jahreszeiten, die gleichförmig gemacht waren durch zerdrückte Brocken von Frischfleisch, scharf vom Eis), der bittere Unrat, der vom Land der Menschen herabsickert (im Meer singen die Großen noch verhallende Lieder, die von unverseuchten Ozeanen erzählen, aber die Großen sterben, sie wurden ermordet; ihre Lieder werden mit ihnen sterben, und niemand wird sich an den Geschmack der klaren See erinnern können), und das sandige Sediment, das von einem breiten, vom Regen geschwollenen Fluß zu mir hergespült wird. Das Sediment ist es, was mir die Sicht nimmt. Die Menschen haben mir meine Stimme genommen, so daß ich nicht um Hilfe rufen kann, und so haben sie auch mein Gehör fast verstopft.
    Ich kann nicht mehr gegen die Gezeiten ansingen. Die Menschen haben ein Gerät an mir befestigt, das ein häßliches Krächzen aussendet. Obgleich das metallische Geräusch sich ziellos mit dem Dröhnen, das den Ozean erfüllt, vermischt und darin verschmilzt, genügt es zum Navigieren (das haben sie sehr sorgfältig erprobt). Aber die Schönheit ist aus meiner Heimat verschwunden. Selbst die Steine sind stumpf geworden.
    Ich stoße durch die Oberfläche, um zu atmen. Es ist dunkel, und das Wasser glitzert im Mondlicht. Ich werde langsamer und schaue mich um. Es ist lange her, daß ich das Meer oder den Himmel gesehen habe. Ich ruhe mich aus und lasse Rücken und Augen aus dem warmen, zärtlich plätschernden Wasser ragen. Aber die Menschen bemerken schnell, daß ich angehalten habe, und sie senden ein Signal aus, das mich weitertreibt. Ich kann mich nicht dagegen wehren. Ich habe nicht einmal die Befriedigung, vergebens zu versuchen, einen Schmerz zu überwinden. Es gibt keinen Schmerz, nur einen Zwang, der ebenso unüberwindlich ist wie die Wände aus Glas und Beton, die mich gefangenhielten.
    Als ich in meiner Einsamkeit dem Wahnsinn nahe war, träumte ich davon, freigelassen zu

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