Feuerflut
Kylis. Bitte hör auf damit, solch gefährliche Dinge zu sagen.“ Sie war verstört und erschrocken, mehr als aus der Fassung geraten als zu der Zeit, wo Kylis sie weinend getroffen hatte.
Kylis kam näher und ergriff ihre Hand. „Entschuldige, Miria. Ich wollte dich nicht verletzen oder etwas sagen, was dich in Schwierigkeiten bringen könnte.“ Sie hielt inne und fragte sich, wie weit die Furcht vor der Regierung Rotsonnes Miria von ihrer Loyalität abbringen könnte.
„Miria“, sagte sie impulsiv, „hast du je daran gedacht, dir einen Partner zu suchen?“
Miria zögerte so lange, daß Kylis dachte, sie würde überhaupt nicht mehr antworten. Kylis fürchtete, erneut Mirias Vergangenheit aufgewühlt zu haben.
„Nein“, sagte Miria endlich. „Niemals!“
„Möchtest du?“
„Darüber nachdenken – oder es tun?“
„Beides. Mit mir, Gryf und Jason Zusammensein. Nicht nur hier, sondern auch, wenn wir draußen sind.“
„Nein“, sagte Miria. „Nein. Ich kann nicht.“ Ihre Stimme klang erneut furchtsam.
„Weil wir vorhaben, Rotsonne zu verlassen?“
„Es sind andere Gründe.“
„Möchtest du nicht wenigstens darüber nachdenken?“
Miria schüttelte den Kopf.
„Ich weiß, üblicherweise lebt ihr auf Rotsonne nicht in Gruppen zusammen“, sagte Kylis. „Aber wo ich geboren wurde, taten dies eine Menge Leute, auch wenn meine Eltern allein waren. Ich erinnere mich an die Zeit, bevor ich weglief – meine Freunde hatten niemals Angst davor, nach Hause zu gehen, wie das bei mir der Fall war. Jason verbrachte sein ganzes Leben in einer Gruppenfamilie, und er meint, daß man auf diese Weise am besten zurechtkommt.“ Sie verschwieg ihre gelegentlichen Zweifel daran, ob irgendeine Welt so schön sein konnte wie jene, die Jason beschrieben hatte. Was auch immer sie erwartete, es würde besser sein als ihr eigenes früheres Leben immerwährenden Versteckens und ständiger Unsicherheit; es würde besser sein als das, was Gryf ihr von Rotsonne erzählt hatte – mit dem Anspruch absoluter Loyalität dem Staat gegenüber auf Kosten jeder familiären Struktur, die zu groß war, um augenblicklich den Einfällen oder Anordnungen der Herrschenden zu folgen.
Miria antwortete nicht.
„Auf jeden Fall sind drei Leute nicht genug – wir dachten, wir würden andere finden, draußen. Aber ich glaube …“
„Gryf weiß nicht …“ unterbrach Miria Kylis, um dann von neuem zu beginnen. „Sie wissen nicht, daß du mich fragst?“
„Nicht direkt, aber sie kennen dich beide“, sagte Kylis vorsichtig. Sie glaubte, Miria könnte Angst haben, Kylis* Partner würden sie ablehnen. Kylis wußte, daß sie das nicht tun würden, doch konnte sie dieses Wissen nicht in Worte kleiden.
Der Regen hatte die Spuren von Mirias Tränen weggewischt; nun lächelte sie und drückte Kylis’ Hand. „Ich danke dir, Kylis“, sagte sie. „Ich wollte, ich könnte zustimmen. Ich kann nicht, doch nicht aus Gründen, die du vermutest. Ihr werdet einen Besseren finden.“ Sie erhob sich, doch Kylis hielt sie zurück.
„Nein, du bleibst hier. Das ist dein Platz.“ Kylis stand auf. „Wenn du deine Meinung ändern solltest, dann sag mir einfach Bescheid. Einverstanden?“
„Ich werde meine Meinung nicht ändern.“
„Ich wollte, du wärest dir dessen nicht so sicher.“ Widerwillig machte sie sich davon.
„Kylis?“
„Ja?“
„Sag bitte niemandem, daß du mich gefragt hast.“
„Auch nicht Gryf und Jason?“
„Keinem. Bitte.“
„In Ordnung“, sagte Kylis widerwillig.
Kylis ließ Miria bei der Felsflanke des Hügels zurück. Ehe sie wieder den Wald betrat, sah sie sich noch einmal um. Miria saß wieder auf dem Stein, nach vorn gebeugt, die Unterarme ruhten auf den Knien. Nun sah sie hinab zu den riesigen Halden aus Ton und Dreck, zu den schlanken Kühltürmen, die den Dampf der Generatoren kondensierten, zu den hohen, undurchdringlichen Antennen, die die Energie nordwärts zu den Städten abstrahlten.
Als Kylis die Schlafstätte erreichte, stand die Sonne hoch am Himmel. Unter den abgestorbenen Farnwedeln war es ruhig und kühl. Sie kroch in das Innere und setzte sich an Jasons Seite, ohne ihn jedoch zu wecken. Er lag ausgestreckt in dem trockenen Moos und atmete tief und regelmäßig. Als fühlte er ihren Blick auf sich ruhen, öffnete er blinzelnd die Augen.
Kylis legte sich an seine Seite und berührte ihn, fühlte Knochen, die nun stärker hervortraten, trockene, rissige, sonnenverbrannte Haut und
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