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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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die Narben von Rissen und Schnittwunden. Er war übersät mit Blutergüssen und Quetschungen, als ob die Wachen ihn geschlagen hätten, vielleicht deshalb, weil er sich gelegentlich über manche Dinge auf eine Art amüsierte, die ihm als Arroganz ausgelegt wurde. Aber für den Moment würde sie seine neuen Wunden ignorieren, wie er die ihren.
    „Bist du wach?“
    Er lachte leise. „Ich glaube schon.“
    „Möchtest du weiterschlafen?“
    Er streichelte ihr Gesicht. „So müde bin ich nicht.“
    Kylis lächelte und beugte sich vor, um ihn zu küssen. Die Haare seines kurzen Bartes fühlten sich unter ihrem Mund und ihrer Zunge weich und störrisch an. Für eine Weile konnten sie beide die Hitze vergessen.
    Sie lag neben Jason, ohne ihn direkt zu berühren – der Nachmittag war heiß geworden. Während er schon wieder tief schlief, döste sie nur leicht. Dann erhob sie sich und zog ihre Hosen und die Stiefel wieder an, strich eine Locke von Jasons sonnengebleichtem Haar aus seiner feuchten Stirn und schlüpfte nach draußen.
    Nur noch wenige Stunden blieben bis zum Ende von Gryfs Schicht, daher begab sich Kylis in Richtung der Einzäunung an den Anlegerampen der Luftkissenfahrzeuge.
    Hinter der Lichtung der Bohrgrube erstreckte sich der Wald eine kurze Strecke nach Westen. Das Gelände fiel weiter ab, wurde feuchter und feuchter, um schließlich in Sumpf überzugehen. Die Unterkünfte der Wachen, die vollständig von einem elektrisch geladenen Zaun umgeben waren, hatte man an der Nahtstelle zwischen solidem Fels und seichtem, stehendem Wasser erbaut. Dort befanden sich die Kais der Luftkissenfahrzeuge – völlig unangreifbar. Sie hatte versucht durchzukommen. Sie hatte sogar versucht, in der Nähe einen Tunnel zu graben. Sich unter einem Zaun durchzugraben oder ihn zu durchschneiden war etwas, das keine Raumhafenratte tun würde, eine reine Verzweiflungstat. In den ersten Tagen in Brückenkopf war Kylis sehr verzweifelt gewesen. Sie hatte nicht geglaubt, daß sie ihre Zeit im Lager überleben würde. So ging sie, spät in der Nacht, zu dem elektrischen Zaun und begann zu graben. Bei Einbruch der Dämmerung hatte sie den Fußpunkt des Zaunes noch immer nicht erreicht, und der Untergrund war feucht genug, um den Strom zu leiten und sie mit kurzen, warnenden Schlägen zu traktieren.
    Ihre Schicht würde in Kürze beginnen, die Wachablösung fand statt, und man würde sie finden, wenn sie nicht aufhörte. Sie hatte vor, das Loch zuzudecken, in der Hoffnung, wie würden es nicht entdecken.
    Sie lag flach auf dem Boden, grub mit einem flachen Stein und beiden Händen ein schmales, tiefes Loch; über und über mit rotem Ton beschmutzt, kämpfte sie gegen die verrinnende Zeit. Sie griff nach einer letzten Handvoll Erde und berührte dabei den Draht einer Elektrofalle.
    Der Strom fuhr ihr durch die Glieder und verkrampfte jeden Muskel ihres Körpers. Zitternd und gefühllos lag sie auf der Erde, glücklich, daß der Draht auf Betäuben und nicht auf Töten geschaltet war. Sie versuchte sich zu erheben und zu fliehen, doch sie war nicht in der Lage, ihre Bewegungsabläufe zu koordinieren. Erneut erschauerte sie. Ihre Muskeln waren überreizt und unfähig, die Signale des Nervensystems wahrzunehmen. Ihr ganzer Körper schmerzte so heftig, daß sie nicht in der Lage war festzustellen, ob durch die plötzliche Muskelkontraktion irgendwelche Knochen gebrochen waren.
    Ein Lichtfinger griff in ihre Richtung. Sie hörte Schritte, als die Wachen versuchten, die Ursache des Alarms, den die Berührung des Drahtes ausgelöst hatte, zu finden. Die Geräusche dröhnten in ihren Ohren, als hätte der Stromschlag ihre Sinne wesentlich empfindlicher gegenüber Schmerzen gemacht. Die Schritte erstarben, der Lichtstrahl blendete sie und glitt dann von ihrem Gesicht weg. Mit ihren geblendeten Augen konnte sie die Gestalt, die über ihr stand, nicht erkennen, doch sie wußte, es war die Echse. Es kam ihr zu Bewußtsein, ein vager, langsamer Gedankengang, daß sie seinen wirklichen Namen nicht kannte. (Sie erfuhr später, daß sie darin nicht die einzige war, niemand wußte ihn.) Er zog Kylis auf die Beine und hielt sie aufrecht; mit vor Ärger verzerrtem Gesicht und zusammengekniffenen Augen starrte er sie an.
    „Jetzt weißt du, daß wir nicht so leicht zu überrumpeln sind wie Raumschiffkapitäne“, sagte er. Seine Stimme war leise und rauh, fast heiser. Er ließ sie los, und sie brach erneut zusammen. „Noch hast du Bewährungsfrist.

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