Feuerflut
hatte schon des öfteren ihre unerschöpfliche Arbeitskapazität bewundert. Sie war schlanker als Kylis und größer, wohl auch potentiell kräftiger, doch ungeübt in großen physischen Anstrengungen. Kurze Zeit hatte sie ihr Hemd bis unter die Brüste hochgekrempelt getragen, doch dann hatte sie es wie die meisten anderen wegen der großen Hitze ganz ausgezogen.
Miria überlebte die Strapazen ohne fremde Hilfe, sie belastete die anderen nicht zusätzlich und ließ auch nicht zu, daß man ihr half. Wenn sie nicht einen direkten Auftrag erhielt, arbeitete sie so, als würden die Wachen nicht existieren; sie zeigte ihnen ihre Verachtung, ohne ihnen einen vernünftigen Grund zu geben, sie zu quälen. Doch sie warteten nicht immer, bis sich ihnen ein stichhaltiger Grund bot. Öfter als anderen wurden ihr Schmerzen zugefügt, doch ihr Wille blieb ungebrochen.
Kylis ging einige Meter zurück und trat dann geräuschvoll auf die Lichtung, um Miria etwas Zeit zu geben, ihre Tränen abzuwischen, wenn sie dies wollte. Doch als Kylis innehielt und Überraschung vorgab, so weit draußen auf eine andere Person zu stoßen, drehte Miria sich einfach um.
„Hallo, Kylis.“
Kylis trat näher. „Irgendwas nicht in Ordnung?“ Es war eine derartig dumme Frage, daß sie rasch hinzufügte: „Ich meine, kann ich dir irgendwie helfen?“
Miria lächelte; die harten Linien innerer Anspannung verschwanden von ihrem Gesicht und wichen den Linien der Freude.
„Nein“, sagte sie, „es gibt nichts, das du tun könntest. Aber trotzdem vielen Dank.“
„Ich glaube, ich gehe besser.“
„Nein, bitte nicht“, entgegnete Miria rasch. „Ich bin es leid, allein zu sein …“ Sie hielt inne und wandte sich ab, als tue es ihr bereits leid, soviel von sich offenbart zu haben. Kylis wußte, wie ihr zumute war. Sie setzte sich in ihrer Nähe nieder.
Mirias Blick glitt erneut über den Wald. Die Farnwedel hatten eine sanfte rötlich-schwarze Farbe angenommen. Die Bäume des Sumpfes waren kräftiger und dunkler, große, graue Pfützen waren zwischen ihnen zu erkennen. Am Ende des Sumpfes, hinter dem Horizont verborgen, begann der große Ozean, der, mit Ausnahme des bewohnten großen Nordkontinents und des Südkontinents, wo die Gefangenenlager waren, die gesamte Oberfläche Rotsonnes bedeckte.
Kylis konnte die häßlichen Ausdehnungen der Grube sehen, wo noch immer gebohrt wurde, doch Miria hatte dieser Szenerie den Rücken zugewandt; ihr Blick galt allein dem unberührten Wald.
„Es könnte alles so schön sein“, sagte Miria.
„Glaubst du das wirklich?“ Kylis fand es häßlich – die schwarzen Wälder, das rote Dämmerlicht, die Tage zu lang, die Hitze, das Fehlen von Tieren, mit Ausnahme weniger Insekten, die weder schwammen noch krochen. Rotsonne war einer der abscheulichsten Planeten, auf die sie jemals ihren Fuß gesetzt hatte.
„Ja. Du nicht?“
„Nein. Und ich glaube nicht, daß ich es hier jemals schön finden könnte.“
„Manchmal fällt es schwer, sich das vorzustellen, ich weiß“, sagte Miria. „Manchmal, wenn ich sehr erschöpft bin, denke ich ähnlich. Aber diese Welt ist so reich und so fremdartig – siehst du nicht die Herausforderung?“
„Ich möchte nur weg von hier“, entgegnete Kylis.
Miria schaute sie einen Moment lang an, dann nickte sie. „Du bist nicht von Rotsonne, stimmt’s?“
Kylis schüttelte den Kopf.
„Nein, du kannst nicht dieselben Gefühle haben wie jemand, der hier geboren wurde.“
Dies war eine Seite von Mirias Wesen, die Kylis noch nie aufgefallen war, die stille und doch intensive Hingabe an eine Welt, deren Führer sie eingesperrt hatten. Ungeachtet ihrer Gefühle für Miria, war sie verwirrt. „Wie kannst du nur so denken, nachdem sie dich hierherbrachten? Ich hasse sie, ich hasse diesen Ort …“
„Hat man dich zu Unrecht eingesperrt?“ fragte Miria freundlich.
„Sie hätten mich auch einfach ausweisen können. Das ist die übliche Verfahrensweise.“
„Manchmal irren die Gerichte“, sagte Miria traurig. „Ich weiß das. Ich wünschte, so etwas würde nicht vorkommen. Aber ich bin zu Recht hier. Wenn meine Zeit verbüßt ist, habe ich genug gesühnt.“
Mehr als einmal hatte Kylis daran gedacht, auf einem Planeten seßhaft zu werden und ein Leben zu leben wie andere. Auch unter Erduldung von Schmerzen und Qual. Was sie davon abgehalten hatte, war der Zweifel, ob Vergebung jemals in vollem Umfang gewährt wurde. Rotsonne schien kaum der geeignete Ort zu
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