Feuerflut
Mach keine weiteren Fehler. Und komme nicht zu spät zur Schicht.“
Die Wachen folgten ihm. Sie hielten es nicht einmal für nötig, das Loch zuzuschütten, das sie gegraben hatte.
Kylis war den ganzen Arbeitstag über zu Tode erschöpft, aber sie hatte ihn überlebt – und den nächsten und den nächsten, bis sie wußte, die Arbeit selbst würde sie nicht umbringen. Sie versuchte nie mehr, unter dem Zaun zu graben, aber sie beobachtete noch immer die ankommenden Luftkissenboote.
Als sie ihr Versteck am Felshang oberhalb des Zaunes erreicht hatte, war das Luftkissenfahrzeug auf der Rampe zum Stehen gekommen. Das Tor wurde hinter ihm geschlossen. Kylis sah zu, wie die neuen Gefangenen ausgeladen wurden. Das Tor des Frachtraums schwang auf. Die Menschen ergossen sich über das Deck und gingen den Landungssteg hinunter, desorientiert durch die lange Reise in Hitze und Dunkelheit. Einer der Gefangenen stolperte und fiel zu Boden, wo er sich übergab.
Kylis erinnerte sich, wie sie selbst sich nach den vielen Stunden in dem stockdunklen Raum gefühlt hatte. Selbst eine Unterhaltung war unmöglich, denn die Antriebsmaschinen befanden sich an der dem Eingang gegenüberliegenden Seite, und die Propeller befanden sich unmittelbar darunter. Sie war zu beengt gewesen, um sich in Trance flüchten zu können, und ein Trancezustand wäre auch, eingekeilt in eine derart große Menge, nicht ungefährlich gewesen.
An die Geräusche erinnerte Kylis sich noch am besten: penetranter Lärm, das hohe Wimmern der Maschinen und das Dröhnen der Schrauben. Noch Tage später war sie halb taub gewesen. Der Raum war sehr klein. Trotz der Hitze konnten die Gefangenen es nicht vermeiden, sich aneinanderzulehnen oder mit Körperkontakt beieinander zu sitzen; sobald die Maschinen zu arbeiten begannen, stieg die Hitze rasch an. Als sie im Lager ankamen, war das Innere stickig und erfüllt mit dem Geruch menschlicher Ausdünstungen. Kylis bemerkte kaum, wie die nervenaufreibenden Geräusche der Motoren erstarben. Beim Aufschwingen der Luke, die dem schwachen rötlichen Licht den Zutritt ermöglichte und das Innere undeutlich erhellte, blickte Kylis wie alle anderen auf, und wie die anderen blinzelte sie wie ein erschrecktes Tier.
Die Wachen hatten kein Verständnis für verkrampfte Muskeln und Erschöpfung. Ihre gebrüllten Kommandos sickerten als ferne Echos gerade noch in den Wahrnehmungsbereich des beeinträchtigten Hörvermögens. Sie erhob sich, wobei sie die Wand als Stütze benutzte. Ihre Arme und Beine waren eingeschlafen. Als das Blut wieder in den Venen pulsierte, fühlte sie sich, als würde sie auf kleinen Messern gehen. Sie stolperte nach draußen, und am Fuß des Landungsstegs strauchelte sie. Der Fluch eines Wachsoldaten und der Schlag seines Knüppels brachten sie rasch wieder auf die Beine, die Fäuste geballt, aufs heftigste erregt, doch sie bezwang ihr gewalttätiges Temperament. Der Mann grinste sie an, wartete. Doch Kylis war auf der Erde gewesen, wo eines der dort noch außerhalb der Reservate und Zoos freilebenden Tiere das Opossum war. Sie hatte die sich daraus ergebende Lektion gut gelernt.
Nun kauerte sie in ihrem Versteck und beobachtete die Neuen, die erkennen mußten, daß das Ende der Reise keineswegs das Ende der Hitze bedeutete. Brückenkopf befand sich am Äquator von Rotsonne, und die Hitze und die Feuchtigkeit waren ein Dauerzustand. Selbst der Regen war lauwarm.
Die Wachen trieben die Gefangenen zu einer kompakten Gruppe zusammen und richteten Wasserschläuche auf sie, mit deren Strahl sie Schmutz und Schweiß abspritzten. Danach stapften die Neuen durch den Matsch zur Aufnahmekuppel. Kylis betrachtete jeden einzelnen, der durch das Tor schritt. Sie war sich noch nie darüber klargeworden, was sie suchte, wenn sie die Neuankömmlinge betrachtete, doch was auch immer es war, sie fand es auch heute nicht. Die Mehrzahl der Gefangenen war erschreckend jung, und alle hatten den gleichen hoffnungslosen Blick, der sie zu nichts weiter als zu frischem Fleisch machte: neue Körper, die man verbrauchen konnte. Brückenkopf würde sie aussaugen und wegwerfen. Sie würden umkommen vor Verzweiflung, Erschöpfung oder durch Unvorsichtigkeit. Kylis sah in keinem das Aufblitzen jenes starken Willens, der nötig war, um hier ohne Schaden an Leib und Seele zu bestehen. Doch mitunter trat dieser eiserne Wille erst später zum Vorschein, hervorgerufen durch die Widerwärtigkeit der Arbeit.
Die Ladeluke schloß sich, und die
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