Feuerflut
geringsten Anlass zu schießen.
Die Soldaten eskortierten sie zum Ausgang.
Seichan machte sich keine Illusionen. Sie hatte die Gilde verraten.
Jetzt würde sie Rache üben.
27
31. Mai, 18:11
Wüste von Arizona
KAI KLAMMERTE SICH mit beiden Händen ans Seil, als der Lastenschlitten vom Helikopter abgesenkt wurde. Staub wurde aufgewirbelt; der Luftschwall der Rotoren peitschte ihr ins Gesicht. Sie blickte nach unten, während ihr der Tafelberg entgegenkam, ein verstörender Anblick, der ihr umso mehr zusetzte, als das Lastengeschirr heftig schwankte.
»Wir haben’s fast geschafft«, sagte Jordan.
Er teilte sich mit ihr die Aluminiumschaukel. Von dem Hieb mit dem Gewehrkolben hatte er zwei blaue Augen, doch das schien ihm nichts auszumachen. Mit einer Hand hielt er sich am Seil fest, den anderen Arm hatte er ihr um die Schultern gelegt. Sie war alles andere als schwindelfrei …
Endlich bekamen die Söldner am Boden den Schlitten zu fassen und nahmen sie unsanft in Empfang. Kai zitterten die Beine, und dass Jordan sie festhielt, tat ihr gut. Mit vorgehaltener Waffe geleitete man sie zu der Rinne, die sie bereits vom Bildschirm her kannte. Es ging steil bergab, doch sie hatten keine Wahl.
Unten angelangt, stellte sich heraus, dass in der Zwischenzeit einiges geschehen war. Etwa zwanzig Söldner eilten geschäftig umher. Geräte und Kisten, einige davon aufgebrochen, standen herum. Irgendwo mahlte sich ein Bohrer ins Gestein. Sie hatte keine Ahnung, was hier vorging. Inmitten des Durcheinanders machte sie eine bekannte Gestalt aus.
Rafael Saint Germaine stand auf seinen Stock gestützt vor einem Loch im Boden. Er blickte sie an.
»Ah, da sind Sie ja. Offenbar sind wir jetzt vollzählig.«
Eine Gestalt tauchte aus dem Erdloch hervor, bekleidet mit schwarzer Kampfmontur und unförmigem Helm. Auch ohne sein Gesicht zu sehen, wusste Kai, dass der blonde Hüne Bernd hieß. Als er hoch schaute, sah sie sein schweißüberströmtes Gesicht. Der Schweiß tropfte ihm von Wimpern und Nasenspitze.
»Sir«, sagte Bernd zu Rafael, »wir haben den Hinterhalt vorbereitet. Jetzt fehlt uns nur noch der Köder.«
Der Blick seiner graugrünen Augen richtete sich auf Kai.
»Très bien, Bernd. Dann sind wir so weit. Wir bringen beide nach unten. Es spricht nichts dagegen, alle unsere Trümpfe auszuspielen.«
Kai wandte sich Jordan zu. Er hatte zur Seite geblickt – zu einer Plane, unter der Beine mit Stiefeln herausschauten. Sie dachte an den Gewehrschuss, der die Rangerin niedergestreckt hatte, und begann zu zittern. Als Jordan merkte, wohin sie sah, verdeckte er ihr die Sicht und legte den Arm um sie.
Bernd machte Anstalten, sie voneinander zu trennen, doch Jordan schlug seinen Arm weg. Erstaunlicherweise ließ der Mann ihn gewähren.
»Wir können alleine gehen«, sagte Jordan kühl und stützte Kai.
Sie wussten beide, wo es hinging.
Hinunter ins dunkle Loch.
Welches Schicksal mochte sie dort erwarten?
18:22
Painter kletterte das restliche Wegstück zu der Höhle mit der heißen Schlammquelle hoch. Hank hatte er unten beim Grab der Anasazi zurückgelassen. Kowalski war ein paar Meter weiter unten mit Painters Pistole hinter einem eisverkrusteten Felsen in Stellung gegangen.
Painter spielte im Geiste verschiedene Szenarien durch, denn er wollte auf jede Eventualität vorbereitet und seinem Gegner möglichst weit voraus sein. Er war unbewaffnet. Was hätte ihm eine Waffe auch genutzt? Sie hatten nicht genug Feuerkraft, um unter heftigem Beschuss aus dem Loch hervorzustürmen. Hier war Klugheit gefragt.
Er gelangte ans Tunnelende, vor sich die feuchtheiße, nach Schwefel stinkende Höhle. Auch diesmal wieder empfand er Ehrfurcht und natürliche Angst beim Anblick des brodelnden Schlamms, der an der Wand herunter- und durch die Höhle floss. Die Hitze kam ihm noch unerträglicher vor als eben, aber vielleicht lag das auch an der Kühle, die im Grab herrschte.
Er wappnete sich und trat aus der Tunnelmündung hervor. An der anderen Seite der Brücke beleuchteten mehrere Lampen eine Gruppe von Söldnern. Sie versuchten gar nicht erst, sich zu verstecken. Der Gegner konnte sich denken, dass der Hund ihre Beute vorgewarnt hatte.
Neben ihm richteten sich inmitten der Felsbrocken mehrere Gestalten mit angelegtem Gewehr auf. Painter hob die Arme, zeigte seine leeren Hände vor und ging weiter. Der Rucksack und die daran befestigte Taschenlampe waren sein einziger Schutz. Er wollte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, er
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