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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Rollins
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vor wenigen Stunden in der Berghöhle gesehen.
    »Professor Kanosh …« Der Name kam ihr ganz unwillkürlich über die Lippen; einerseits klang sie erleichtert, andererseits auch ein wenig zornig.
    Er hob verwundert eine Braue. Nach kurzem Zögern reichte er ihr die Hand. »Ich schätze, unter den gegebenen Umständen können Sie mich Hank nennen.«
    Sie verweigerte ihm den Handschlag. Sie musste an John Hawkes’ Charakterisierung des alten Mannes denken. Der Onkel Tom der Indianer. Dieser Verräter an seinem Volk hatte sie zweifellos deshalb aufgespürt, weil er im Dienst der Regierung stand.
    Er ließ seine Hand sinken, stemmte die Hände in die Hüfte und berührte dabei die Pistole im Halfter. »Wie soll es jetzt weitergehen, junge Dame? Sie haben sich eine Menge Probleme aufgehalst. Die Explosion …«
    Sie hatte genug gehört. »Das war nicht meine Schuld!«, platzte sie heraus. Sie musste ihrem Zorn irgendwie Luft machen. »Ich weiß nicht, wie das passiert ist!«
    »Das mag schon sein, aber bei der Explosion hat es einen Toten gegeben. Eine Freundin von mir ist umgekommen. Und die Leute suchen nach einem Schuldigen.«
    Sie starrte ihn an. Die Traurigkeit, die sich in den tiefen Falten um seine Augen zeigte, war echt. Sie schlug die Hände vors Gesicht und vergegenwärtigte sich die Druckwelle und den gleißenden Lichtblitz. Sie sank auf einen Baumstumpf nieder und rollte sich zusammen. Sie hatte einen Menschen auf dem Gewissen.
    Die Tränen, die sich seit der Explosion in ihr aufgestaut hatten, brachen sich endlich Bahn. Sie wurde von lautlosen Schluchzern geschüttelt. »Es sollte niemand zu Schaden kommen«, quetschte sie hervor, doch ihre Worte kamen ihr sinnlos vor.
    Ein Schatten legte sich auf sie. Der alte Mann kniete neben ihr nieder, legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich. Sie hatte nicht die Kraft, sich zu wehren.
    »Ich weiß nicht, was du mit dem Sprengstoff im Rucksack vorhattest«, sagte er leise. »Aber du hast recht. An der Explosion warst du nicht schuld.«
    Sie sträubte sich gegen seine tröstenden Worte. Ihr Vater hatte sie gelehrt, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden und Verantwortung zu übernehmen. Die meiste Zeit über hatte sie mit ihm allein zusammengelebt. Er hatte zwei Jobs angenommen, damit sie über die Runden kamen und ein Dach über dem Kopf hatten. Sie hatte mehr Abende beim Babysitten außer Haus verbracht als daheim. Sie hatten füreinander gesorgt, so gut es ging.
    Deshalb konnte sie sich auch nichts vormachen. Ob es nun ein Unfall gewesen war oder nicht, sie war verantwortlich dafür, dass heute jemand ums Leben gekommen war.
    »Ich weiß nicht, was dort passiert ist«, fuhr Kanosh mit freundlicher Stimme und so beruhigend wie möglich fort, »aber die Bergflanke ist nicht durch deinen Sprengstoff in die Luft geflogen. Ich glaube, es war der Totemschädel. Oder etwas im Inneren des Schädels.«
    Sie klammerte sich an seine Worte wie eine Ertrinkende an ein Stück Treibholz. Allerdings war sie zu sehr in Schuldgefühlen und Trauer gefangen, als dass sie ihm hätte Glauben schenken können.
    Da er ihr Sträuben spürte, sagte er eindringlich: »Ich habe die Berichte über die Gerüchte hinsichtlich der Höhle gelesen, alte Geschichten, die nur noch eine Handvoll Stammesälteste kennen. Diesen Geschichten zufolge war die Begräbnisstätte verflucht, und jedes unbefugte Eindringen soll zu einer Katastrophe führen.« Er schnaubte leise. »Vielleicht hätte man darauf hören sollen. Bei meinen Forschungen habe ich schon häufig erlebt, dass solche alten Geschichten mehr als nur ein Körnchen Wahrheit enthalten.«
    Seine kraftvolle Umarmung und seine sanfte Stimme übten eine beruhigende Wirkung auf sie aus. Die Tränen flossen noch, doch sie brachte immerhin die Kraft auf, den Kopf zu heben, denn sie wollte ihm ins Gesicht sehen.
    »Dann … dann war der C4-Sprengstoff in meinem Rucksack gar nicht der Auslöser der Explosion?«
    »Nein. Das war etwas viel Schlimmeres. Deshalb habe ich nach dir gesucht. Um dich zu schützen.«
    Sie richtete sich auf und löste sich aus seiner Umarmung. Offenbar las er ihr die Frage in den Augen ab.
    »Bei der Explosion wurde ein Pulverfass gezündet, das sich auf dem Berg zusammenbraute. Als ich mich davonmachte, kam es bereits zu ersten Handgreiflichkeiten zwischen Aktivisten und Nationalgarde. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig aller möglichen Verbrechen und Grausamkeiten. Aber in einer Hinsicht sind sich

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