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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Rollins
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der rauen Gewässer, die Vater und Sohn durchkreuzt hatten, war es so vielleicht am besten. Einstweilen mussten seine Eltern noch alleine miteinander klarkommen.
    Die Tür des Behandlungszimmers wurde geöffnet. Gray straffte sich, als der Neurologe eintrat. Der ernste Gesichtsausdruck des Arztes verhieß nichts Gutes. In den folgenden zwanzig Minuten erfuhr Gray, wie schlimm es wirklich stand. Sein Vater ließ das Anfangsstadium seiner Alzheimererkrankung hinter sich und entwickelte allmählich schwerwiegendere Symptome. Er würde in nächster Zeit Schwierigkeiten damit haben, sich anzukleiden oder die Toilette zu benutzen. Die Gefahr, dass er orientierungslos durch die Gegend lief, würde zunehmen. Die Sozialarbeiterin empfahl, die Außentüren mit Alarmvorrichtungen zu versehen.
    Während sie miteinander sprachen, beobachtete Gray seinen Vater, der in der Ecke bei seiner Mutter saß. Jetzt war er nur noch ein Schatten des dominanten Mannes, der er einmal gewesen war. Verdrossen hörte er sich an, was der Arzt zu sagen hatte. Hin und wieder kam ihm ein atemloses »Scheißdreck« über die Lippen, so leise, dass nur Gray es mitbekam.
    Gray fiel auf, dass sein Vater die Hand seiner Mutter festhielt. Sie stützten einander, so gut es ging, als könnten sie der Prognose des Arztes und dem unvermeidlichen Verfall allein durch Willenskraft trotzen und auf diese Weise dafür sorgen, dass sie ihren Partner nicht verloren.
    Schließlich entließ man sie mit einem Stoß Versicherungspapieren und Rezepten. Gray fuhr seine Eltern nach Hause, vergewisserte sich, dass sie zu Abend aßen, und radelte dann zu seiner Wohnung. Er fuhr schnell, denn die Anstrengung half ihm, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
    Zu Hause angekommen, duschte er so lange, bis der Warmwasservorrat aufgebraucht war. Als das Wasser kalt wurde, bekam er eine Gänsehaut. Er trocknete sich ab, schlüpfte in eine Boxershorts und ging in die Küche. Er hatte den Kühlschrank mit der einen Flasche Heineken, die vom tags zuvor gekauften Sixpack noch übrig war, fast erreicht, als er die Gestalt bemerkte, die in seinem Fernsehsessel hockte.
    Er fuhr herum. Normalerweise war er nicht so unaufmerksam. Für einen Sigma-Agenten war das eine schlechte Voraussetzung zum Überleben. Andererseits saß die mit einem schwarzen Lederanzug mit Edelstahlreißverschluss bekleidete Frau so reglos da wie eine Statue. Auf der Sessellehne lag ein Motorradhelm.
    Dass Gray die Person kannte, vermochte sein Herzklopfen nicht zu dämpfen. Seine Gänsehaut wollte einfach nicht weichen. Und das aus gutem Grund. Sein Schreck wäre nicht größer gewesen, wenn er in seinem Wohnzimmer einen Panther vorgefunden hätte.
    »Seichan …«, sagte er.
    Ihre Begrüßung beschränkte sich darauf, dass sie die Füße nebeneinanderstellte, doch selbst diese kleine Bewegung ließ erkennen, wie viel Kraft und Anmut in ihrem gertenschlanken Körper steckten. Sie musterte ihn mit ihren jadegrünen Augen. Ihre Miene war undurchdringlich. In der Dunkelheit wirkten ihre eurasischen Gesichtszüge wie aus Marmor gemeißelt. Das einzig Weiche an ihr war ihr Haar; früher war es kurz geschnitten gewesen, jetzt reichte es ihr bis an den Kragen. Ihr linker Mundwinkel hob sich, anscheinend amüsierte sie sich über sein Erschrecken – oder hatte er sich das nur eingebildet?
    Er verzichtete darauf, sie zu fragen, wie sie sich Zutritt zu seiner Wohnung verschafft hatte oder was sie mit ihrem unangemeldeten Erscheinen bezweckte. Sie war eine erfahrene Auftragsmörderin und in der Vergangenheit für eine internationale Verbrecherorganisation, die Gilde, tätig gewesen – deren Name allerdings war nichts weiter als ein nützliches Kürzel, das in Geheimdienstberichten und Einsatzbesprechungen verwendet wurde. Der wahre Name und der Zweck der Organisation waren nicht einmal deren Agenten bekannt. Sie war in voneinander unabhängige Zellen gegliedert, die jeweils nur einen Teil des Ganzen überblickten.
    Seit Seichan ihre ehemaligen Auftraggeber verraten hatte, war sie heimatlos. Die Geheimdienste – auch der amerikanische – führten sie auf der Liste der meistgesuchten Personen. Der Mossad hatte Anweisung, sie auf der Stelle zu töten. Seit etwa einem Jahr arbeitete sie für Sigma, nachdem Direktor Crowe sie inoffiziell für eine Mission angeworben hatte, die zu geheim war, als dass es Unterlagen darüber gegeben hätte; sie hatte den Auftrag, die Identität der wahren Strippenzieher der Gilde

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