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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Rollins
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konnte die Lösung des Rätsels noch ein paar Stunden warten. Er hatte die Nacht durchgearbeitet, und mit dreiundsechzig war er kein junger Mann mehr.
    »Er möchte Sie sprechen«, beharrte Dr. Cooper. »Er meint, es wäre dringend.«
    »Bei Dr. Tanaka ist alles dringend«, murmelte Jun, der seinen Widerwillen nicht zu verbergen vermochte.
    Dr. Cooper klang aufgeregt. »Riku glaubt, es handele sich um Geoneutrinos. «
    Jun musterte sie scharf. »Das kann nicht sein.«
    Die meisten Neutrinos stammten von der Hintergrundstrahlung des Universums: von Sonneneruptionen, sterbenden Sternen, kollabierenden Galaxien. Einige Neutrinos – Geoneutrinos genannt – stammten aber auch von der Erde: von zerfallenden Isotopen im Erdreich, von kosmischen Strahlen, die auf die oberen Schichten der Erdatmosphäre trafen, oder von Atombombenexplosionen.
    »Riku ist sich sicher«, sagte sie.
    »Unsinn. Um einen Neutrinoausbruch dieser Größenordnung zu verursachen, bräuchte es hundert Wasserstoffbomben.«
    Jun ging zur Tür. Aufgrund der plötzlichen Bewegung durchzuckte ein stechender Schmerz sein rechtes Bein. Der Ischias.
    Vielleicht sollte ich doch besser mal nach unten gehen.
    Das Motiv für seinen Sinneswandel war weniger der Wunsch, herauszufinden, ob Dr. Tanaka recht hatte, sondern vielmehr das Verlangen, dem jungen Physiker einen Irrtum nachzuweisen. Die Gelegenheit, ihn bei einem Fehler zu ertappen, wollte Jun sich nicht entgehen lassen.
    Dr. Cooper, die im Büro bleiben würde, um ihre eigene Arbeit fortzuführen, hielt ihm die Tür auf. Darum bemüht, sein Humpeln zu verbergen, marschierte er auf den Flur und wandte sich zum Aufzug, der von den Büros in die unterirdisch gelegenen Laboratorien hinunterführte. Der Fahrstuhlschacht war neu. Vor dem Bau waren ein Fahrzeugtunnel und die Grubenbahn die einzigen Zugangswege ins Berginnere gewesen. Jetzt ging es schneller, doch die Fahrt im Aufzug war auch unangenehmer.
    Der Gitterkäfig stürzte in die Tiefe wie ein Stein in freiem Fall, sodass sich ihm der Magen hob. Da er unter Klaustrophobie litt, war er sich des umgebenden Felsgesteins überdeutlich bewusst. Als sich die Türen endlich öffneten, betrat er den Kontrollraum des Detektors. Der in Arbeitszellen und Büros unterteilte Raum glich den oberirdisch gelegenen Labors.
    Jun aber ließ sich nicht täuschen.
    Als er aus dem Aufzug trat, ging er gebeugt, denn er spürte das auf ihm lastende Gewicht des Ikenoyamabergs. Der diensthabende Physiker stand vor einem Wandmonitor an der Hinterseite des Hauptsaals.
    Dr. Riku Tanaka war Anfang zwanzig und nur knapp eins sechzig groß. Dieses Wunderkind der Physik besaß zwei Doktortitel und hatte bereits den dritten in Angriff genommen.
    Im Moment stand der junge Mann stocksteif da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und starrte eine sich drehende Weltkugel an. Zweispaltig scrollten Datenströme über die linke Seite des Bildschirms.
    Tanaka hielt den Kopf schief, als lausche er aufmerksam auf ein Geräusch, das nur er allein hören konnte, ein Wispern, das Antwort auf die ungelösten Geheimnisse des Universums gab.
    »Die Daten sind faszinierend«, sagte er, ohne sich umzudrehen. Vielleicht hatte er in einem der dunklen Monitore an der Seite Juns Spiegelbild gesehen.
    Jun runzelte über diesen Mangel an Höflichkeit die Stirn. Keine Verneigung, keine Würdigung der Mühe, die er auf sich genommen hatte, um hier herunterzukommen. Angeblich litt der junge Mann am Asperger-Syndrom, einer milden Form von Autismus. Jun hingegen fand seinen Kollegen einfach nur unhöflich und glaubte, dass er die Diagnose als Ausrede benutzte.
    Er trat vor den Monitor und sagte schroff: »Was liegt vor?«
    »Ich habe die Daten aller Neutrinolabors gesammelt. Vom Labor der Russen am Baikalsee, von Los Alamos in den Vereinigten Staaten und vom britischen Sudbury Observatorium.«
    »Habe ich schon gehört«, sagte Jun. »Alle haben den Neutrinoausbruch detektiert.«
    »Ich habe mir die Daten der anderen Labors übermitteln lassen.« Tanaka wies mit dem Kinn auf die scrollenden Anzeigen. »Neutrinos breiten sich ausgehend von der Entstehungsquelle geradlinig aus. Weder Gravitationseinflüsse noch magnetische Felder vermögen sie abzulenken.«
    Jun wurde zornig. Er brauchte keinen Nachhilfeunterricht in Teilchenphysik.
    Tanaka, der anscheinend nicht bemerkt hatte, wie herablassend seine Bemerkung gewesen war, fuhr fort: »Deshalb brauchte ich nur die an verschiedenen Orten erhobenen Daten

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