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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Rollins
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flüchtigen subatomaren Teilchen gestört hätte, stand der Super-Kamiokande-Detektor, ein vierzig Meter hoher Tank aus rostfreiem Stahl, der fünfzigtausend Tonnen ultrareines Wasser enthielt. Der Tank diente der Erforschung des Neutrinos, des kleinsten Teilchens im Universum – ein subatomares Partikel, das so klein war, dass es keine elektrische Ladung und fast keine Masse besaß, so winzig, dass es mühelos feste Materie durchdrang.
    Aus dem Weltraum prasselte ein steter Neutrinoschauer auf die Erde ein. Sechzig Milliarden dieser Teilchen passierten pro Sekunde eine Fingerspitze. Sie gehörten zu den elementaren Bausteinen des Universums, waren für die moderne Physik aber immer noch ein Rätsel.
    Der Super-Kamiokande-Detektor diente dazu, diese flüchtigen Teilchen zu registrieren und sie zu untersuchen. Hin und wieder kam es vor, dass ein Neutrino gegen ein Molekül prallte – in diesem Fall gegen ein Wassermolekül. Dabei wurde der Atomkern erschüttert und sandte einen blauen Lichtblitz aus. Nur in absoluter Dunkelheit ließ sich dieser kurze, unglaublich schwache Blitz erfassen. Zu diesem Zweck war der gewaltige Wassertank mit dreizehntausend Fotomultipliern ausgekleidet, die in den stockdunklen Tank hineinspähten und auf die Kollision von Neutrinos warteten.
    Trotz der Größe der Anlage war es äußerst schwierig, diese Partikel aufzuspüren. Das ganze Jahr über war die Zahl der von den Fotomultipliern detektierten Partikel weitgehend konstant gewesen. Das war auch der Grund, weshalb ihn die angezeigten Daten so verblüfften.
    Jun starrte das Bildschirmdiagramm an. Es stellte die Neutrinoaktivität der letzten zwölf Stunden dar.
    Er fuhr mit dem Finger über den Bildschirm, folgte dem Kurvenverlauf. Seine Fingerspitze wanderte an dem Ausschlag nach oben, der gegen drei Uhr morgens aufgetreten war. Der gewaltige Neutrinoausbruch hatte sich drei Stunden zuvor ereignet und ein noch nie beobachtetes Ausmaß erreicht.
    Das muss ein Messfehler sein. Ein Gerätedefekt.
    Seit drei Stunden wurde nämlich die ganze Anlage gründlich überholt. Nächsten Monat sollte zusammen mit dem Schweizer CERN ein Gemeinschaftsexperiment durchgeführt werden.
    Wenn das abgesagt werden musste …
    Er stand auf, streckte seinen schmerzenden Rücken und trat ans Fenster. Er liebte das Morgengrauen, eine wundervolle Zeit fürs Fotografieren, sein Hobby. Die Wände zierten Aufnahmen des Fujibergs bei Sonnenaufgang, der sich im Kawaguchisee widerspiegelte, die Narapagode vor dem Hintergrund feuerroten Ahorns und die Shiraito-Wasserfälle im Winter, an dessen Rand die eisverkrusteten Bäume in allen Regenbogenfarben funkelten. Das war sein Lieblingsfoto.
    Draußen erstreckte sich der weniger pittoreske Campus des Observatoriums, doch gab es hier auch einen kleinen Teich und einen sorgfältig gerechten Zengarten mit einem hohen, schroffen Felsen in der Mitte. Bisweilen kam er sich vor wie dieser Fels, vereinzelt, krumm, vom Leben umtost.
    Als die Tür geöffnet wurde, schreckte er aus seinen Träumereien auf. Dr. Janice Cooper, eine langbeinige, blonde Austauschwissenschaftlerin von der Stanford University, eilte ins Zimmer. Sie war dreißig Jahre jünger als Jun und so schlank, wie er dick war. Sie duftete immer nach Kokosöl und war ständig auf dem Sprung, ein California Girl, das nicht still sitzen konnte.
    Manchmal erschöpfte ihn schon ihre bloße Anwesenheit.
    »Dr. Yoshida!«, sagte sie atemlos, als wäre sie gelaufen. »Ich habe gerade Meldungen vom Sudbury-Neutrino-Observatorium in Kanada und der IceKube-Anlage in der Antarktis reinbekommen. Sie berichten von starken Neutrinoausbrüchen, die zum gleichen Zeitpunkt aufgetreten sind wie bei uns.«
    Sie wollte noch mehr sagen, doch Jun hob mit einem Seufzer der Erleichterung die Hand. Er musste einen Moment nachdenken. Also handelte es sich doch nicht um einen Messfehler. Ein Rätsel war somit gelöst – doch das warf eine noch gewichtigere Frage auf: Woher stammte diese gewaltige Zahl von Neutrinos? Von der Geburt einer Supernova in der Tiefe des Weltraums? Von einer gewaltigen Sonneneruption?
    Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte Dr. Cooper: »Riku lässt anfragen, ob Sie nicht zu ihm runterkommen wollen. Er glaubt, er habe einen Hinweis auf die Neutrinoquelle entdeckt. Als ich wegging, hat er noch dran gearbeitet.«
    Jun hatte keine Zeit für die Schrullen von Dr. Riku Tanaka. Jetzt, da erwiesen war, dass es sich nicht um einen Fehler im Messsystem handelte,

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