Feuerflut
abgelenkt. Ihr Mann war ihr Anker und das Wasser, das sie trug. Monk fasste seiner Frau um die Hüfte, legte ihr die Hand auf den Bauch. Sie schmiegte sich an ihn.
Da dies geregelt war, eilte er davon.
»Passen Sie auf sich auf, Direktor!«, rief Monk ihm nach.
Painter entging nicht das Bedauern in Monks Stimme. Offenbar ging Kats Vorschlag, ihn mitzunehmen, auf ihn selbst zurück. Desgleichen hatte Painter bei seiner Entscheidung, Monk in der Zentrale zurückzulassen, nicht nur an Kat gedacht. Der Mann war nicht nur ihr Anker, sondern auch der eines Teamkollegen, der gerade eine schwere Zeit durchmachte.
Und Painter ahnte, dass es noch schlimmer kommen würde.
17:22
Commander Grayson Pierce wusste nicht, was er mit seiner Mutter anfangen sollte. Sie tigerte im Untersuchungszimmer auf und ab.
»Ich verstehe nicht, weshalb ich nicht dabei sein soll, wenn der Neurologe mit deinem Vater spricht«, sagte sie aufgebracht.
»Doch, du weißt es«, erwiderte er ruhig. »Das hat dir die Sozialarbeiterin ausführlich erklärt. Die Untersuchungen seines Geisteszustands liefern bessere Ergebnisse, wenn keine Angehörigen zugegen sind.«
Sie winkte ab, machte kehrt und setzte ihre Wanderung fort. Dabei stolperte sie, beinahe wäre ihr linkes Bein eingeknickt. Gray rutschte auf dem Stuhl vor, um sie notfalls aufzufangen, doch sie fand von selbst das Gleichgewicht wieder.
Er lehnte sich zurück und musterte seine Mutter. In den vergangenen Monaten hatte sie abgenommen, war ausgezehrt vor Kummer. Die Seidenbluse hing ihr von den mageren Schultern, und ein BH-Träger schaute hervor, eine Nachlässigkeit, wie sie bei ihr normalerweise nicht vorkam. Das graue Haar aber hatte sie makellos frisiert und hochgesteckt. Vielleicht war das Haar das Letzte, was sie in ihrem Leben noch unter Kontrolle hatte.
Während sie gegen ihre Ängste anmarschierte, lauschte Gray auf die gedämpfte Unterhaltung im Nebenzimmer. Er verstand nicht, worum es ging, doch sein Vater klang zunehmend gereizt. Da Gray fürchtete, er könne jeden Moment aufbrausen, wappnete er sich, um gegebenenfalls einzugreifen. Sein Vater, früher Monteur bei einer texanischen Ölfirma, war kein gelassener Mensch. Schon in Grays Kindheit hatte er zu Wutanfällen und Gewaltausbrüchen geneigt, und als er bei einem Arbeitsunfall ein Bein verlor, war es noch schlimmer geworden. Jetzt, da die fortschreitende Alzheimererkrankung nicht nur sein Gedächtnis zerstörte, sondern auch seinen letzten Rest an Selbstbeherrschung, war er noch reizbarer als zuvor.
»Ich sollte bei ihm sein«, wiederholte seine Mutter.
Gray widersprach ihr nicht. Er hatte mit beiden Elternteilen schon zahllose Unterhaltungen geführt, um zu erreichen, dass sie in eine Einrichtung für betreutes Wohnen mit einer Abteilung für Alzheimerpatienten umzogen. Beide weigerten sich, aus dem Bungalow in Takoma Park auszuziehen, in dem sie seit Jahrzehnten lebten, denn die scheinbaren Vorteile des Gewohnten wogen für sie schwerer als die Unterstützung, die sie in einer sozialen Einrichtung bekommen hätten.
Gray aber war klar, dass es nicht ewig so weitergehen konnte.
Zum Wohle seines Vaters, aber auch um seiner Mutter willen.
Bei der nächsten Kehrtwendung stolperte sie erneut. Er fasste sie beim Ellbogen. »Wieso setzt du dich nicht?«, sagte er. »Du bist müde, und es wird auch nicht mehr lange dauern.«
Er spürte die zerbrechlichen Vogelknochen ihres Arms, als er sie zum Stuhl geleitete. Zuvor hatte er ein Vieraugengespräch mit der Sozialarbeiterin geführt. Sie hatte sich besorgt über die geistige und körperliche Verfassung seiner Mutter geäußert und gemeint, es käme häufig vor, dass die Pflegeperson aufgrund der Belastung vor dem Patienten sterbe.
Gray wusste nicht, was er noch tun sollte. Er hatte bereits eine Ganztagspflegerin eingestellt, die seiner Mutter tagsüber zur Hand ging, was diese nur widerwillig duldete. Doch selbst das reichte nicht mehr aus. Es gab Probleme mit der Medikamenteneinnahme, es gab Sicherheitsprobleme im Haus und bei der Planung und Zubereitung der Mahlzeiten. Wenn nachts das Telefon klingelte, bekam er Herzrasen, weil er stets auf das Schlimmste gefasst war.
Er hatte seinen Eltern vorgeschlagen, zu ihnen zu ziehen, damit sie nachts nicht allein wären, doch diesen Rubikon hatte seine Mutter bislang nicht überschreiten wollen – wenngleich Gray vermutete, dass sie nicht zu stolz dafür war, sondern ihrem Sohn nicht zur Last fallen wollte. Und in Anbetracht
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