Feuerflut
gemeinsam für die Kirche missioniert haben, miteinander befreundet.«
Painter nickte. »Dann setzen Sie mich bitte ebenfalls ins Bild.«
»Zunächst möchte ich Sie beruhigen. Ich glaube, Kai hatte mit der Explosion gar nichts zu tun. Der Sprengstoff, den sie fallen gelassen hat, war nicht die Ursache dieser Tragödie.«
Painter entging nicht das Stocken in der Stimme des Professors. Hank hatte der getöteten Anthropologin nahegestanden. Kai legte dem alten Mann die Hand auf den Arm, um ihn zu trösten und ihm zu danken.
»Hab Ihnen ja gesagt, es war nicht der C4 …«, brummte Kowalski.
Ohne auf seine Bemerkung einzugehen, wandte Painter sich an den Professor. »Was hat dann Ihrer Ansicht nach die Explosion verursacht?«
Der Professor sah ihm direkt in die Augen. »Ganz einfach«, sagte er im Brustton der Überzeugung. »Ein Indianerfluch.«
22:35
Rafael Saint Germaine ließ sich beim Aussteigen aus dem Helikopter helfen. Der Rotorschwall drückte rund um die Landestelle den gepflegten Rasen platt. Manch einen hätte es in Verlegenheit gestürzt, auf Hilfe angewiesen zu sein, doch dieser Mann war es so gewohnt. Beim Sprung aus der Kabine aufs Helipad wäre er sonst Gefahr gelaufen, sich etwas zu brechen. Von Geburt an litt Rafe – wie er sich am liebsten ansprechen ließ – an Osteogenesis imperfecta, bekannt als Glasknochenkrankheit. Bei dieser autosomal dominanten Erbkrankheit kommt es zu einer Kollagenfehlbildung, die brüchige Knochen und Kleinwuchs zur Folge hat. Aufgrund einer leichten Wirbelsäulenverkrümmung und der blauen Skleren in seinen dunklen Augen hielten ihn die meisten trotz seiner nur vierunddreißig Jahre für einen alten Mann.
Doch er war kein Invalide. Mit Kalzium, Bisphosphonaten und verschiedenen experimentellen Wachstumshormonen hielt er sich fit. Außerdem kompensierte er seine Muskelschwäche mit obsessivem Training.
Seine wahre Stärke lag jedoch auf anderem Gebiet.
Als er aus der Helikopterkabine auf den Boden herabgelassen wurde, blickte er zum Nachthimmel auf. Er kannte jedes einzelne Sternbild und jeden ihrer Sterne mit Namen. Er besaß ein eidetisches, also fotografisches Gedächtnis und merkte sich alles, was ihm unterkam. Sein zerbrechlicher Schädel kam ihm bisweilen vor wie die dünne Schale eines riesigen Schwarzen Lochs, das Licht und Wissen aufsaugte.
Trotz seiner Behinderung setzte seine Familie seit jeher große Erwartungen in ihn. Er war gezwungen gewesen, diesen Erwartungen gerecht zu werden und seine körperlichen Unzulänglichkeiten zu kompensieren. Wegen seiner Krankheit hatte man ihn häufig in den Hintergrund gedrängt und versteckt, doch jetzt, in diesem bedeutsamen Moment, wurde er gebraucht und hatte endlich Gelegenheit, seiner Familie Ehre zu machen.
Es hieß, der Stammbaum der Saint Germaines lasse sich bis vor die Französische Revolution zurückverfolgen, und ein Großteil des Familienvermögens stamme aus Kriegsgewinnen. Dies setzte sich bis in die Gegenwart fort, doch inzwischen umfasste das Familienimperium zahlreiche Geschäftszweige und Firmen.
Rafe, der mit einem außergewöhnlichen Verstand gesegnet war, beaufsichtigte die Forschungs- und Entwicklungsprojekte der Saint Germaines in den Rhône-Alpes, genauer in einer abgeschiedenen Region in der Nähe von Grenoble. Die Gegend war ein Zentrum wissenschaftlicher Aktivitäten, ein Schmelztiegel von Industrie und universitärer Forschung. Die Familie Saint Germaine war an Hunderten Projekten verschiedener Labors und Firmen beteiligt. Bei den meisten ging es um Mikroelektronik und Nanotechnologie. Allein Rafe besaß dreiunddreißig Patente.
Dennoch hielt er sich wohlweislich im Hintergrund, denn er wusste um die dunkle Geschichte seiner Familie und deren Beziehung zur Organisation Reiner Stammbaum. Er betastete seinen Hinterkopf. Das Haar verdeckte eine kahl rasierte, frisch tätowierte Stelle. Das Tattoo verknüpfte die Funktion seiner Familie – sein Gelöbnis – mit dem finsteren Erbe.
Rafe ließ die Hände sinken und blickte starr vor sich hin. Er verstand es auch, Befehle entgegenzunehmen. Man hatte ihn hierherbeordert, ihm genaue Anweisungen gegeben und ihn an die geschichtlichen Wurzeln erinnert, die bis in die Gegenwart reichten. Dies war für ihn die Gelegenheit, sich in der Welt einen Namen zu machen, ungeahnte Reichtümer zu erwerben und den Ruhm seiner Familie zu mehren.
Als die Kabinentür sich hinter ihm schloss, sah er sich im Fensterglas gespiegelt. Mit seinem langen,
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