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Was hast Du getan? Alle Mitglieder von WAHYA haben so große Hoffnungen in Deine ehrenhafte und gewaltlose Aktion gesetzt. Du aber hast alles kaputt gemacht, hast Blut vergossen und Schande über uns gebracht. Dein Gesicht läuft in allen Nachrichten, mit der Unterschrift »Terroristin« und »Mörderin«. Nicht mehr lange, dann wird Deine Schande auf uns zurückfallen. Und von Dir noch immer keine Nachricht, nur dröhnendes Schweigen. Hat Dich die US-Regierung dafür bezahlt, dass Du uns verrätst und in ein falsches Licht rückst? Das erzählt man sich nämlich über Dich.
Ich habe zur Geduld gemahnt und vor einer vorschnellen Verurteilung gewarnt, aber ohne eine Erklärung Deinerseits, ohne einen Beweis für Dein Festhalten an unserer Sache, kann ich die Wölfe nicht länger draußen halten. Sie wollen Blut sehen, während ich nur Antworten haben will. Vor einer Stunde ist der WAHYA-Rat zusammengetreten. Wenn Du Deine Unschuld nicht nachweist, bleibt uns nichts anderes übrig, als Dich als eingeschleuste Provokateurin und Terroristin bloßzustellen, die unserer guten Sache geschadet hat. Du hast bis Mittag Zeit, Dich zu melden, dann berufen wir eine Pressekonferenz ein.
JH
Kai schloss die E-Mail. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie dachte an ihre Freunde, die sie lächelnd umarmt hatten, bevor sie ins Gebirge aufgebrochen war. Sie erinnerte sich an die lange Umarmung von Chayton Shaw, einem der engagiertesten Mitstreiter der jungen Organisation. Chay bedeutete in der Sprache der Sioux »Falke«, ein passender Name in Anbetracht seines langen schwarzen Haars, das ihm bis auf die Schultern fiel und schon bei der leichtesten Brise angehoben wurde. Vor zwei Tagen – ihr kam es vor wie eine kleine Ewigkeit – hatten sie zu nächtlicher Stunde darüber gesprochen, ob sie vielleicht mehr füreinander empfanden als nur Freundschaft.
Jetzt stellte sie sich vor, wie er sich von ihr abwandte und sie schnitt. Schluchzend schlug sie die Hände vors Gesicht, verbarg ihre Scham und ihre Tränen.
Was soll ich jetzt tun?
8:35
Hank Kanosh setzte sich so, dass ihm der Kamin den Rücken wärmte. Painter nahm ihm gegenüber am Tisch Platz. Sein Kollege schnarchte leise auf dem Sofa.
Den dunklen Ringen unter seinen Augen nach zu schließen, hätte auch Painter ein wenig Schlaf gebrauchen können, doch anscheinend bereitete ihm irgendetwas Sorge. Hank hatte den Eindruck, dass es nicht unbedingt mit der aktuellen Lage zu tun hatte. Dafür wirkte er zu zögerlich, zu zerstreut. Den ganzen Morgen über hatte er telefoniert. Vielleicht ging es um den merkwürdigen Vulkanausbruch, vielleicht um etwas anderes. Sicher war nur eines: Es brannte ihm unter den Nägeln.
Schließlich räusperte sich Painter und verschränkte die Hände auf der Tischplatte. »Ich will offen mit Ihnen sein, und ich hoffe, dass Sie es ebenso halten. Menschen sind umgekommen, und es werden noch mehr sterben, wenn es uns nicht gelingt, uns Klarheit zu verschaffen über das, womit wir es zu tun haben.«
Hank nickte leicht. »Selbstverständlich.«
»Ich habe mit unserem Geologen gesprochen, der die vulkanische Aktivität am Explosionsort überwacht. Wir haben inzwischen eine ungefähre Vorstellung von dem, was in der Höhle versteckt war. Es geht um die Manipulation von Materie auf Nanoebene. Wir glauben, dass die Menschen der damaligen Zeit – ob absichtlich oder durch Zufall, sei dahingestellt – einen instabilen Stoff hergestellt haben, eine aktive, explosive Substanz, die durch Wärmezufuhr stabilisiert werden muss. Deshalb wurde sie in einem geothermisch aktiven Gebiet versteckt, wo sie jahrhundertelang hätte ruhen können.«
Hank verspürte einen Anflug von schlechtem Gewissen. »Das heißt, bis wir sie aus der warmen Höhle herausgeholt haben.«
»Dabei wurde die Substanz instabil. Bei der Explosion hat sich ein sogenannter Nano-Herd gebildet, eine Ansammlung von Nanorobots oder mikroskopischen Nanomaschinen, welche die Materie verzehren und sich potenziell unendlich weit ausdehnen können. Aber durch Zufall oder aufgrund der Planung der Urheber wurde der Nano-Herd bei Ausbruch des Vulkans zerstört, und der zerstörerische Prozess kam zum Erliegen.«
Entsetzt schloss Hank für einen Moment die Augen. Maggie … was haben wir getan? Leise sagte er: »Deshalb also wurde in den alten Geschichten vor dem Betreten der Höhle gewarnt.«
»Und vielleicht war das ja nicht die einzige Höhle dieser